Vererbung des römischen Beinamens

Teil 13 des Aufsatzes Die römischen Eigennamen der republikanischen und augusteischen Zeit von Theodor Mommsen(bearbeitet von Knud Bielefeld)

Eine der wichtigsten Fragen für die Entwicklungsgeschichte des Cognomen ist die, wann und wie es dazu gekommen ist, dass der ursprünglich individuelle Namensteil vererbt wurde. Zunächst ist das Cognomen als Individualname, eben wie das Pränomen, höchst persönlich und nicht vererblich. Diesen Charakter hat es bei Frauen und Freigelassenen durchaus und vielfach auch bei freigeborenen Männern, regelmäßig zum Beispiel, wo es das Adoptionsverhältnis anzeigt. Aber schon früh kommen auch Cognomina vor, die innerhalb des Geschlechts das Haus bezeichnen und demnach den Nachfahren vorbehalten sind, aber im Übrigen den persönlichen gleichartig und aus ihnen hervorgegangen sind.

Die Entstehung und die rechtliche Stellung des Hauses liegen zwar selber im Dunkel, aber dass jede agnatisch gesonderte Linie sich innerhalb des Geschlechts als Sondergemeinschaft willkürlich hat konstituieren dürfen, ist zumindest für die älteste Zeit nicht wahrscheinlich. Vielmehr wird hier die Analogie der Koloniengründung maßgebend gewesen und zur Abzweigung der Häuser ein Formalakt erfordert worden sein, etwa die Ausschließung des Zweiges von der bisherigen Geschlechtsgrabstätte und die Anlegung eines eigenen Grabraums für denselben und Ähnliches mehr, auf jeden Fall die Einwilligung der Geschlechtsgenossen. Hatte eine derartige Abzweigung stattgefunden, so stand das Haus vermutlich gleichsam als Geschlecht im Geschlechte. Das zeigte sich sowohl in der Fähigkeit sich wieder weiter zu verzweigen, als auch namentlich im Erbrecht: den Cornelius Scipio, der ohne Agnaten starb, werden nach gentilicischem Recht zunächst die Cornelii Scipiones, erst den letzten der Scipionen die patrizischen Cornelier überhaupt beerbt haben, wofern nicht unter deren Zweigen einer oder einzelne gegenüber den Scipionen wieder ein Näherrecht geltend machen konnte. Zweifellos sind solche Abzweigungen uralt. Am frühesten treten sie hervor in dem cornelischen Geschlecht, wo neben dem anscheinend ältesten Zweige der Maluginenses schon seit dem vierten Jahrhundert die Cossi (auch Arvinae) und die Scipiones, seit dem fünften die Rufini (später Sullae), Lentuli, Dolabellae, Blasiones, im sechsten die Cethegi und Merulae genannt werden. Andere patrizische Geschlechter haben sich dagegen erst spät oder gar nicht geteilt. Die patrizischen Claudier zum Beispiel blieben wahrscheinlich in ungeschiedener Gemeinschaft bis zum Ende des fünften Jahrhunderts, wo sie in den Hauptstamm der Pulchri und die Nebenlinie der Nerones auseinander gingen. Wo eine solche Trennung stattgefunden hat, pflegt jeder Zweig als Distinktiv vielleicht ein besonderes Wappen, sicher einen besonderen Beinamen zu führen. Wenn sich nun aber auch dieser Hausname von Geschlecht zu Geschlecht fortpflanzte, so hat er doch nie so unabänderlich fest gehaftet wie der des Geschlechts. Die Annahme eines neuen Hausnamens unter Ablegung des bisherigen ist, auch abgesehen von dem Fall der Abzweigung eines neuen Hauses nicht gerade unerhört. Es muss demnach die allgemeine Regel, dass das Cognomen nicht obligatorisch, sondern fakultativ ist, selbst auf den Hausnamen noch eine gewisse Anwendung gelitten haben. Dagegen den Geschlechtsnamen zu wechseln ist ohne Volksbeschluss sicher nicht möglich gewesen. In der letzten Zeit der Republik kam es aber vor, dass der Geschlechtsname durch das Cognomen derartig abgelöst wurde, dass es selbst auf die Freigelassenen überging. Der Mörder Caesars, der leibliche Sohn des M. Junius Brutus, Adoptivsohn des Q. Servilius Caepio, heißt im offiziellen Stil nie anders als Q. Caepio Brutus oder Q. Caepio, im gemeinen Verkehr auch wohl M. Brutus, aber niemals weder Servilius noch Junius. Ebenso führen seine Freigelassenen den Namen Caepio als Geschlechtsnamen. In Verres, das gleichfalls Nomen war und auf die Freigelassenen überging, werden wir danach auch wohl eher ein zum Nomen gewordenes Cognomen zu erkennen haben als ein ursprüngliches Nomen anomaler Bildung; und gewiss haben ähnliche Namenwechsel auch sonst noch stattgefunden. Die Veranlassung dieser seltsamen Anomalie kennen wir nicht. Nicht hiermit zu verwechseln ist das namentlich in den kaiserlichen Häusern häufig vorkommende bloße Zurücktreten des Geschlechtsnamens, wie dieses zum Beispiel bei Augustus, Agrippa, Tiberius, Germanicus, den Flaviern, Traianus und Hadrianus beobachtet wird. Der Geschlechtsname wird in diesem Falle nicht abgelegt, wie schon die Namen der Freigelassenen beweisen, sondern außer Gebrauch gesetzt, woher auch in der Ableitung an die Stelle desselben in der Regel das Cognomen tritt.

Eine besondere Stellung auch hinsichtlich der Erblichkeit scheinen unter den Beinamen der vornehmen Geschlechter diejenigen eingenommen zu haben, die von den Namen überwundener Städte oder Landschaften entlehnt sind. Beispiele sind Messalla bei den Valeriern seit 491, Africanus seit 549, Asiaticus seit 564 bei den Scipionen, im siebenten Jahrhundert Macedonicus, Balearicus, Delmaticus, Numidicus, Creticus bei den Metellern, Isauricus bei den Serviliern und im achten Gaetulicus bei den Lentulern. Die offizielle Geltung dieser Namen, so weit eine solche überhaupt dem Cognomen zukommt, ist außer Zweifel, da sie in den öffentlichen Urkunden und namentlich in den Fasten verzeichnet werden. Auch wenn die Wahl eines beliebigen Beinamens jedem freistand, liegt die Frage nahe, ob es für Beinamen dieser Art nicht einer besonderen Erlaubnis bedurft hat. Überliefert ist in dieser Beziehung nichts. Eine in geringen Auszügen überlieferte und sicher verstümmelte Nachricht von Dio aus dem Jahre 514 kann dagegen dahin verstanden werden, dass jene Beinamen, sofern sie überhaupt als erbliche angenommen wurden, stets nur dem ältesten Sohn zukommen sollten. Unter den fünf Beinamen dieser Art, die nachweislich auf die Descendenz übergingen (Messalla, Africanus, Asiaticus, Creticus und Isauricus), ist keine sichere Instanz bekannt, die dieser Regel widerspräche. Dass der Beiname Messalla in den letzten Zeiten der Republik und unter Augustus von mehreren Individuen der gleichen Generation geführt wurde ist kein Beleg, da damals die ganze republikanische Namenordnung schon zu schwanken begann. Auch die ursprüngliche Bedeutung dieses Beinamens war vergessen. Unterstützt wird diese Annahme von den Zeitverhältnissen, denn wenn ein solches Agnomen zuerst für den Consul des Jahres 491 aufkam, so konnte die Frage, ob dasselbe auf seine beiden Söhne oder nur auf den älteren übergehen solle, füglich im Jahre 514 zur Entscheidung kommen.