Es gibt sie wirklich: typische Vornamen der bildungsnahen und -fernen Schichten. Ute Utech hat das in ihrer „Studie zur schichtenspezifischen Vornamenvergabe in Deutschland“ nachgewiesen.
Vor der Analyse der Vornamen stand die keineswegs einfache Aufgabe, die Bevölkerungsschichten zu definieren. „Oberschicht und Unterschicht“ ist leicht gesagt, aber wer genau gehört dazu? Die Forscherin hat für die Studie vier Schichten definiert und die Vornamen nach den Berufen, Adelstiteln und akademischen Abschlüssen der Eltern der Namensträger zugeordnet. So setzen sich die Bevölkerungsschichten zusammen:
- Oberschicht
Prestigeberufe und repräsentative Berufe mit Hochschulstudium, wie z.B. Professor/in, Minister/in, Richter/in am Bundesgerichtshof etc. und Adelstitel.- Obere Mittelschicht
Berufe mit Hochschulausbildung (Studium), so z.B. Jurist/in, Arzt/Ärztin, Ingenieur/in, Natur- und Geisteswissenschaftler/in.- Untere Mittelschicht
Berufe mit Fach- und Fachschulausbildung, u.a. Handwerksmeister/in, Techniker/in, Bürokaufmann/frau, Krankenschwester/-pfleger.- Unterschicht
Berufe mit Schulausbildung, Anlernberufe und andere einfache Ausbildungsberufe wie Fabrikarbeiter, Call-Center-Agent/in, Bäckereiaushilfe; außerdem Arbeitslose und Menschen ohne Beruf.(Definition wörtlich aus der Studie zitiert)
Die Auswertung stützt sich auf die Daten zu 53.568 Kindern (27.448 Jungen und 26.120 Mädchen), die sich so auf die Schichten verteilen:
Schicht 1 | Schicht 2 | Schicht 3 | Schicht 4 |
100 | 18.933 | 30.377 | 4.158 |
0,19 % | 35,34 % | 56,71 % | 7,76 % |
Die Vornamen der Kinder und die Angaben zu den Berufen der Eltern wurden von den Standesämtern von 29 Städten aus ganz Deutschland zur Verfügung gestellt. Hauptsächlich handelt es sich um Kinder des Geburtsjahrgangs 2004.
Die häufigsten Vornamen
Es folgen die häufigsten Vornamen der Stichprobe. Für diese Auswertung wurden nur die Erstnamen gezählt und Namensvarianten wie Hanna und Hannah nicht zusammengefasst.
Mädchen | Jungen |
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Meine eigene Auswertung anhand einer anderen Stichprobe hat eine sehr ähnliche Rangliste ergeben: Die beliebtesten Vornamen des Jahres 2004. Vornamen mit gleichklingenden Varianten (z. B. Hannah und Lukas) sind in meiner Liste weiter oben platziert, weil ich die Namensvarianten (z. B. Hanna und Lucas) mitgezählt habe.
Das sind die häufigsten Vornamen je Bevölkerungsschicht (fett markiert sind die Namen, die nur in einer Schicht in den Top 10 stehen):
Jungen
Schicht 2 | Schicht 3 | Schicht 4 |
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Lukas und Maximilian sind schichtenübergreifend populär. Jonas, Paul und Tim gehören zu den beliebtesten Vornamen der mittleren Schichten; Justin, Leon und Nico zu denen der unteren Schichten.
Mädchen
Schicht 2 | Schicht 3 | Schicht 4 |
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Julia, Laura und Lena stehen in allen drei Ranglisten. Anna gehört zu den beliebtesten Vornamen in den Schichten 2 und 3. Sowohl in Schicht 3 als auch in Schicht 4 kommen die Vornamen Lara, Lea, Leonie und Sarah häufig vor.
Aus den wenigen Oberschichts-Daten lässt sich keine aussagekräftige Vornamenrangliste ermitteln, darum fehlt die erste Schicht in den Tabellen.
Diese Top 10-Listen sind zwar recht interessant, spannender finde ich aber die Analyse der formalen Struktur aller 53.568 Vornamen. Dabei wurde die Anzahl an Vokalen, Konsonanten und Silben untersucht sowie ein Blick auf die Auslaute geworfen.
Formale Struktur
Tendenziell ist der Anteil der Vokale in den Vornamen der unteren Schichten am größten. Dabei nimmt der Anteil der hellen Vokale (E, I und Y) von oben nach unten zu, der Anteil der dunklen Vokale (O und U) ist in allen Schichten gleich. Insgesamt kommen die hellen Vokale viel häufiger vor als die dunklen. Bemerkenswerte Unterschiede gibt es bei den Geschlechtern: Mädchennamen sind grundsätzlich vokalreicher als Jungennamen und enthalten deutlich weniger dunkle Vokale.
Über 50 Prozent aller Kinder haben einen zweisilbigen Erstnamen. In der durchschnittlichen Silbenzahl unterscheiden sich die Schichten nicht wesentlich. Auch was die Anzahl und die Auswahl der Konsonanten angeht, sind in der Studie keine deutlichen Unterschiede zwischen den Schichten aufgefallen.
Die Namen wurden außerdem danach kategorisiert, ob sie mit einem Vokal („offener Auslaut“) oder mit einem Konsonaten („geschlossener Auslaut“) enden. Entscheidend war dabei der Laut und nicht die Schreibweise: Maurice hat einen geschlossenen Auslaut (das „e“ wird nicht gesprochen, nur geschrieben), Hannah hat einen offenen Auslaut (das „h“ wird nur geschrieben, nicht gesprochen). Grundsätzlich haben die meisten Mädchennamen einen offenen und die meisten Jungennamen einen geschlossenen Auslaut; die Anteile der geschlossenen Auslaute betragen 15,8 Prozent bei den Mädchennamen und 84,5 Prozent bei den Jungennamen. Über die sozialen Schichten betrachtet zeigt sich: Je niedriger die Schicht angesehen ist, desto größer ist der Anteil der geschlossenen Mädchennamen und der offenen Jungennamen.
Vornamen mit Bindestrich kommen in allen Schichten nur selten vor. Trotzdem fällt auf, dass Mädchen häufiger einen Vornamen mit Bindestrich bekommen als Jungen und dass in den unteren Schichten der Anteil dieser Namen größer ist als in den oberen Schichten. Die durchschnittliche Anzahl der Vornamen ist dagegen umso größer, je höher die soziale Stellung der Eltern angesehen wird. Über alle Schichten gesehen haben 90 Prozent der Kinder einen oder zwei Vornamen.
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Referenz
Ute Utech (2011): Rufname und soziale Herkunft: Studien zur schichtenspezifischen Vornamenvergabe in Deutschland