Akademikerkindernamen zwischen Tradition und Moderne

In der „Studie zur schichtenspezifischen Vornamenvergabe in Deutschland“ hat Ute Utech vor allem Unterschiede in der formalen Struktur der schichtenspezifischen Vornamen nachgewiesen (siehe meine Zusammenfassung: Typische Vornamen der bildungsfernen Schichten).

Für meine eigene Untersuchung habe ich dieselbe Datengrundlage verwendet – eine Stichprobe mit den ersten Vornamen von 53.568 Kindern des Geburtsjahrgangs 2004 sowie den Berufen und akademischen Abschlüssen der Eltern. Die Einteilung der vier sozialen Schichten ist umstritten (siehe meine Kritik), deshalb habe ich die obersten Schichten zusammengefasst und die verbliebenen drei Schichten neu benannt: Statt ursprünglich „Oberschicht / obere Mittelschicht / untere Mittelschicht / Unterschicht“ bezeichne ich die sozialen Gruppen als „Eltern mit Studium / Eltern mit Berufsausbildung / Eltern ohne Berufsausbildung“ beziehungsweise kürzer „Studierte / Ausgebildete / Ungelernte“, was eher den definierten Kriterien entspricht. Zur Gruppe der Ungelernten gehören vermutlich viele, die zwar eine Berufsausbildung oder ein Studium absolviert haben, aber in einem anderen Beruf tätig sind. Mit den verfügbaren Daten habe ich aber keine Möglichkeit, diese Ungenauigkeit aufzufangen.

Ich war neugierig darauf, ob die weit verbreitete Ansicht stimmt, dass bildungsferne Eltern seltener traditionelle Vornamen vergeben. Dazu habe ich die Vornamen aus der obengenannten Stichprobe den von mir (anhand einer anderen Stichprobe) recherchierten Vornamenhitlisten der Geburtsjahrgänge 1904, 1929, 1954, 1979, 2004 und 2015 gegenübergestellt. Konkret habe ich gezählt, wie viele der Vornamen zu den 30 häufigsten Vornamen der Jahrgänge gehören – differenziert nach sozialem Umfeld und Geschlecht.

Anteil in den Top 30

Zwischen 31 und 37 Prozent der Eltern haben ihren Kindern 2004 einen Vornamen aus den damals aktuellen Top 30 gegeben. Der Wert ist bei den Eltern mit Berufsausbildung etwas höher als bei den Studierten und Ungelernten, allerdings ist das vermutlich ein statistischer Effekt aufgrund der unterschiedlichen Größen der Gruppen, (die Gruppe der Ausgebildeten ist größer als die anderen).

Nur ungefähr 12 Prozent der Eltern entschieden sich für einen 25 Jahre alten Modenamen aus der Hitliste von 1979; das gilt unabhängig vom Bildungsniveau.

Die beliebtesten Vornamen der Jahrgänge 1929 und 1954 wurden 2004 nur selten vergeben. Es fällt aber auf, dass diese Namen umso häufiger vorkommen, je höher das Bildungsniveau ist.

Ein Blick auf das Jahr 1904 zeigt, dass es einerseits eine Renaissance der vor hundert Jahren beliebten Vornamen gibt und diese Namen andererseits tatsächlich vor allem von Akademikern vergeben wurden. Nur 3 Prozent der Ungelernten entschieden sich 2004 für einen Vornamen aus den Top 30 von 1904, dagegen bekamen fast 11 Prozent der Kinder mit studierten Eltern einen solchen Namen.

Bemerkenswerte Erkenntnisse liefert der Blick in die „Zukunft“: Wie viele der im Jahr 2015 beliebtesten Vornamen wurden 2004 vergeben? Die Verteilung gleicht derjenigen von 1904: Wesentlich mehr Studierte (32 Prozent) vergaben einen später populären Vornamen als Ausgebildete (29 Prozent) und Ungelernte (21 Prozent). Das untermauert die These, dass Akademiker eher Meinungsführer sind und deren Vornamensvorlieben Vorbildfunktion haben.

Geschlechtsspezifische Unterschiede

Weiblich in den Top 30

Männlich in den Top 30

Grundsätzlich gelten die oben beschriebenen Erkenntnisse auch für die getrennte Betrachtung der weiblichen und männlichen Vornamen. Es fällt aber auf, dass doppelt so viele 1904er Mädchennamen wie Jungennamen vergeben wurden. Dafür ist der Anteil der Jungennamen aus den Hitlisten von 1929 bis 2015 jeweils höher.

Modenamenkreislauf

Nebenbei veranschaulicht diese Untersuchung auch den Modenamenkreislauf: Ein Vorname wird initiiert (Entstehungsphase), von anderen Eltern aufgegriffen (Ausbreitungsphase), in der Bevölkerung etabliert und weit verbreitet (Adaptionsphase) bis ein Sättigungseffekt auftritt und der Name nicht mehr vergeben wird (Restriktionsphase). Die Restriktionsphase wird dadurch begünstigt, dass Eltern häufige Namen aus der eigenen Generation nicht vergeben, weil sie viele Namensträger kennen und es da meistens auch unangenehme Assoziationen gibt. Nach einer Weile wird der Vorname wieder attraktiv und der Modenamenkreislauf mit der Entstehungsphase wieder aufgenommen.