Vornamen der Plebejer

Teil 7 des Aufsatzes Die römischen Eigennamen der republikanischen und augusteischen Zeit von Theodor Mommsen (bearbeitet von Knud Bielefeld)

Der eben erörterte Namenszwang mit allen daraus abgeleiteten Konsequenzen ist spezifisch italisch oder vielmehr spezifisch römisch und verhältnismäßig neu. Den Griechen ist jede Beschränkung in der freien Wahl des Eigennamens fremd. Hinsichtlich der Frauen gilt bei den Italikern grundsätzlich dasselbe. Bei den männlichen Namen dagegen macht das Namensystem schon der italischen Stämme den Ansatz zur Schließung der Reihe: bei den Samniten, Volskern und Umbrern ist die Zahl der vorkommenden Vornamen im Ganzen auffallend klein und wechseln abgekürzte mit voll ausgeschriebenen ungefähr wie in der römischen Beamtentafel vor dem Decemvirat. Bereits hier zeigt sich eine besondere Häufigkeit derjenigen Vornamen, die bei den Römern nachher die Hauptrolle in allen Geschlechtern spielen: Gaius, Lucius, Marius, Marcus und Publius sind wenigstens den Samniten ebenfalls geläufig und werden auch im Oskischen schon mit festen Abkürzungen geschrieben. Diese Entwicklung des Namensystems hängt ohne Zweifel zusammen mit derjenigen Form der alten Geschlechtsgemeinde, welche sich bei den Italikern überhaupt gebildet und in Rom am vollständigsten und schärfsten entwickelt hat. Aber warum hat man die ursprüngliche und natürliche Freiheit der Eltern, ihrem Kinde nach Gefallen den Namen zu schöpfen, in ganz Italien und vornehmlich in Rom bei den Söhnen und nur bei diesen so außerordentlich beschränkt? Es wird sich schwerlich ein anderer Zweck dafür auffinden lassen als dass auf diesem Wege ein äußerliches und handgreifliches Unterscheidungsmerkmal für die patrizischen Geschlechtsgenossen gegenüber den Zugewandten und Freigelassenen gewonnen werden sollte. Später bediente man sich dazu der Cognomina, ursprünglich war das aber nicht möglich. Schon deshalb nicht, weil sie als fester und förmlich anerkannter Bestandteil der Individualbenennung relativ jung sind. Es hat einmal eine Zeit gegeben, wo der cornelische Stamm Genossen und Zugewandte noch nicht unterschied und natürlicher Weise suchen musste für dieselben auch ein äußerliches und handgreifliches Unterscheidungszeichen zu erhalten. Der Geschlechtsname ist den Zugewandten niemals versagt worden, da ihre Zugehörigkeit zu dem Geschlechte unbestreitbar feststand und sich an das Vorhandensein eines äußeren Merkmals dafür auch für die patrizischen Geschlechtsgenossen wichtige Vorteile knüpften, zum Beispiel der Beweis des Erbrechts. Wohl aber war es zulässig und natürlich, gewisse Individualnamen den vollberechtigten Gentilen zu reservieren und von deren Gebrauch die Zugewandten und Freigelassenen auszuschließen. Dass sich später nur der erste Teil dieser uralten Vorschrift behauptet hat, der zweite beinahe in das Gegenteil umgeschlagen ist, kann nicht verwundern. Dass der gentilizische Namenszwang für die Plebejer nicht rechtlich von Haus aus bestand, folgt einerseits daraus, dass der gentilizische Verband sie überhaupt nicht einschloss. Andererseits wird auch von jenen Dekreten, die einzelne Vornamen gewissen Geschlechtern untersagten, ausdrücklich und wiederholt bemerkt, dass sie sich nur auf die patrizischen Gentilen bezogen. Aber die ganze Entwicklung des Plebejertums besteht in der allmählichen Übernahme der patrizischen Reservatrechte, mit welchen die adligen Freiheitsbeschränkungen bis zu einem gewissen Grade unzertrennlich verknüpft waren.

Die Neubürgerschaft, namentlich die plebejische Nobilität hat nach dem Muster der Altbürgerschaft Geschlechter gegründet und ihr Erbrecht nach der patrizischen Agnation und Gentilität gestaltet, obwohl beide Begriffe nach ältestem Recht für Plebejer sicher nicht galten. Es war nur folgerecht, auch die patrizische Namenordnung in der Art auf die Plebs zu übertragen. Somit setzte sich die plebejische Quasi-Gens wie die wirkliche patrizische nicht bloß einen geschlossenen Kreis von Vornamen, sondern übernahm auch ausschließlich jene fünfzehn allgemein gültigen Vornamen. Innerhalb der plebejischen Nobilität kommen keine anderen Vornamen vor als die allgemein patrizischen, nicht einmal ein Appius, Mamercus oder Numerius. Die neben gleichnamigen patrizischen stehenden plebejischen Häuser unterscheiden sich in nichts von den patrizischen: wie der patrizische Hauptstamm der Claudier den Sondervornamen Appius, die patrizischen Claudii Nerones den Sondervornamen Tiberius, führen die plebejischen Claudii Marcelli den Sondervornamen Marcus, während Gaius sämtlichen claudischen Häusern gemein ist. Die selbstständigen plebejischen Adelsgeschlechter sind in der Nomenklatur oft noch beschränkter als die patrizischen: die Domitier führen ausschließlich die Vornamen Gnaeus, Lucius und selten Marcus. Unter der nicht der Nobilität angehörenden Plebs kommen allerdings unrömische, größtenteils ehemals samnitische oder sonst landübliche Vornamen wie Novius, Occius, Paquius, Salvius, Statius, Trebius, Vibius vor. Diese Ausnahmen erscheinen aber in so verschwindend kleiner Zahl und so deutlich ausschließlich im Übergang von der vorrömisch-italischen zu der römischen Namensordnung, dass sie die Regel in keiner Weise in Frage stellen.
Mit der Entwicklung der Plebejer zum Vollbürger sind die ursprünglich exklusiv für den patrizischen Vollbürger geltenden Satzungen auf ihn angewendet worden, wozu höchstwahrscheinlich auch die Namensordnung gehörte. Es lässt sich noch erkennen, dass die Kreise, die dem Vollbürgertum am fernsten standen und in Heerdienst und Stimmrecht zurückgesetzt waren, auch am spätesten die alte Freiheit des Individualnamens eingebüßt haben. Unter den äußerst seltenen Freigelassenen-Inschriften aus republikanischer Zeit zeigen einige in der Tat noch willkürlich gesetzte Individualnamen an erster Stelle. Die Namen Cratea Caecili(us) M. l(ibertus), Clesipus Geganius, Calenus Canoleius beweisen, dass bei diesen Individuen, die zur Annahme des spezifisch patrizischen Eigennamens weder ein Recht noch auch nur eine Veranlassung hatten, derselbe am längsten frei blieb. Das, was in der Kaiserzeit ihr Cognomen war, wurde ursprünglich als ihr Pränomen angesehen. Das bürgerliche Pränomen wurde ihnen dagegen untersagt. Das änderte sich im Laufe des siebenten Jahrhunderts. Die allgemeine Entwickelung der römischen bürgerlichen Verhältnisse führte dazu, dass die Freigelassenen mit den anderen Kriterien der Ingenuität auch des bürgerlichen Vornamens sich zu bemächtigen suchten. In der späteren republikanischen Zeit und in der Kaiserzeit war es üblich, dass die Freigelassenen neben der Toga auch einen Vornamen empfingen. Zuletzt übernahmen sie sogar gesetzlich den Vornamen des Herrn, den sie ursprünglich unter allen Eigennamen sicher am wenigsten hatten führen dürfen.