Der jüngere Individualname oder das Cognomen und dessen Entwicklung

Teil 11 des Aufsatzes Die römischen Eigennamen der republikanischen und augusteischen Zeit von Theodor Mommsen (bearbeitet von Knud Bielefeld)

Wir gehen über zur Betrachtung des römischen Cognomens. Dieses ist in seinem ursprünglichen Wert der Beiname, das heißt eine das Individuum kennzeichnende zunächst appellative, sodann konventionell fixierte Benennung. In Entstehung und Fassung ist daher das Cognomen dem Pränomen auf das Engste verwandt, ja gewissermaßen mit demselben identisch. So ist bei den Frauen das Pränomen bloß wegen des Mangels offizieller Anerkennung zum Cognomen herabgesunken, ohne sich eigentlich materiell zu ändern. Ebenso hat eine Menge alter Pränomina, zum Beispiel Agrippa, Numa, Postumus, Proculus, ebenso Volusus, Fusus, nachdem sie die Pränominalqualität eingebüßt hatten, als Cognomina fortbestanden. Dennoch zeigen sich zwischen beiden Kategorien sehr wichtige Verschiedenheiten. Das Pränomen ist rechtlich notwendig, das Cognomen allmählich gewöhnlich, aber niemals rechtlich allgemein geworden. Wenn auch unter den patrizischen Geschlechtern wenigstens in der späteren Zeit der Republik keines der Cognomina entbehrt, so finden sich doch innerhalb der plebejischen Nobilität nicht wenige namhafte Häuser ohne Cognomen wie die Antonier, Duilier, Flaminier, Marier, Memmier, Mummier, Sertorier. Unter den municipalen Familien fehlt das Cognomen noch viel häufiger, so dass die vulgäre Regel, dass „drei Namen“ den Römer bezeichnen, nur das gewöhnliche, nicht das rechtliche Verhältnis aussagt.

Mehrfache Pränomina nebeneinander gab es normalerweise nicht. Für die Zahl der Cognomina hat es tatsächlich und rechtlich nie eine Beschränkung gegeben.

Die Pränomina ferner sind durchgängig dem Kind, die Cognomina durchgängig dem Erwachsenen beigelegt. Der Bedeutung nach gehen die meisten Cognomen, so weit sie verständlich sind, entweder die Umstände der Geburt an (z. B. Lucius, Manius, Quintus, Sextus, Postumus, Opiter und die Frauennamen Lucia, Mania, Postuma, Paula) oder zurück auf den allgemeinen Begriff des Erhaltens und Gedeihens (Tullus von tollere, Servius von servare, Vibius wohl mit vivere verwandt, Volero wie Volusus von valere , Garns, Gaia von gaudere), oder knüpfen, obwohl seltener, an eine Gottheit an (Marcus, Mamercus, Lar, Tiberius). Man sieht es ihnen an, dass sie von den Eltern herrühren und den Kindern zu einer Zeit erteilt worden sind, in der charakteristische Zeichen kaum an ihnen sich wahrnehmen ließen außer etwa ein Muttermal (Gnaevus). Die Cognomina dagegen, abgesehen natürlich von den aus dem Pränomen hervorgegangenen, betonen in der Regel körperliche Eigenschaften, wie sie nur oder vorzugsweise an Erwachsenen hervortreten, und keineswegs besonders die dem Besitzer oder dessen Eltern erfreulichen. Es genügt unter tausend ähnlichen an Barbatus, Cincinnatus, Volso, Longus, Carito, Naso, Labeo, Broccus, Scaevola, Crassipes, Albus, Flavus, Rufus, Rutilus, Niger, Macer, Crassus, Celer, Lentulus zu erinnern. Eine große Zahl anderer bezieht sich auf die Herkunft, wie Sabinus, Tuscus, Maluginensis, Medullinus. Auch dergleichen Namen pflegen sich nicht innerhalb des Hauses und nicht für Kinder im zarten Alter zu bilden.

Man könnte versucht sein, zwischen dem Cognomen und dem Wappen eine enge Beziehung anzunehmen. Bei einzelnen Beinamen ist das zweifellos der Fall: so führen die Furii Purpureones auf ihren Münzen die Purpur Schnecke und die Furii Crassipedes den dicken Fuß, doch sind die sicheren Fälle der Art nicht häufig. Außerdem lässt sich die Frage, ob hier der Name aus dem Wappen oder umgekehrt das Wappen aus dem Namen hervorgegangen ist, keineswegs unbedingt zu Gunsten der ersten Alternative entscheiden. Es kommen vielmehr Fälle vor, wo das Wappen wahrscheinlich auf einer falschen Etymologie des Beinamens beruht. Wenn also auch das Wappen hin und wieder zu dem Cognomen Veranlassung gegeben haben mag, so darf doch nicht etwa das Cognomen im Allgemeinen als Wappenname angesehen werden.

Sprachlich folgt das Cognomen dem allgemein für Eigennamen geltenden Gesetz darin, dass es regelmäßig adjektivisch auftritt. Zwar wird nicht selten ein Substantiv ohne weitere Abänderung als Cognomen verwandt, aber doch im Ganzen genommen in der Minderzahl. Durchaus aber wird das Cognomen streng differenziert vom Pränomen wie vom Nomen: teils kann jedes Wort als Cognomen verwandt werden, nur nicht eines, das schon als Pränomen oder Nomen dient, teils wird dem Cognomen jedes adjektivische Suffix, nur nicht das für das Nomen in Beschlag genommene ius gestattet.

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