Warum uns Namen heute so wichtig sind

Eine Zeitreise

Die amerikanische Vornamenexpertin Laura Wattenberg ist der Ansicht, dass die Namensgebung heutzutage eine viel größere Rolle spielt als je zuvor. Ihre Meinung untermauert sie mit einer Zeitreise.

Originalartikel: L’Etat, c’est nous (Der Originalbeitrag ist nicht mehr verfügbar.)

Hier die wesentlichen Aspekte des Beitrags:

Stellen Sie sich vor, sie leben im Mittelalter in einem englischen Dorf: Sie haben zwar keinen Nachnamen (den führt ausschließlich die Aristokratie), aber den Vornamen John. In Ihrem Dorf wohnen außerdem John der Müller, John vom Ende des Dorfes, John der Sohn von William, John der rothaarige und so weiter. Tatsächlich heißt jeder vierte Engländer John. Benannt werden sie nach Ihren Eigenschaften wie zum Beispiel Beruf, Familienzugehörigkeit, Stärken und Schwächen oder auffälligen Merkmalen.

Ein Sprung ins 16. Jahrhundert: In Europa sind vererbbare Familiennamen etabliert. Es gibt jetzt seit Generation Müllers, die noch nie eine Mühle von innen gesehen haben.

Mit der industriellen Revolution werden die Menschen mobiler. Moderne Staaten benötigen zur Verwaltung der Steuerzahler, Schüler und Wehrpflichtigen ein verlässliches Namenssystem. Dabei wird in Skandinavien das aus Wikingerzeiten überlieferte Patronymische Namenssystem abgeschafft (Niels Jensens Sohn Peder heißt Peder Nielsen, seine Tochter Anna heißt Anna Nielsdatter).

Das Aufkommen der Massenmedien: Zeitungen präsentieren Tag für Tag Informationen über fremde Leute, von denen jeder einzelne einen Namen hat. Romane handeln von unzähligen Personen mit unterschiedlichen Namen. Bald gibt es Filme, Radio, Fernsehen. Jeden Tag Namen über Namen.

In den 1960er Jahren entwickelt sich die Individualität zu einem Wert , der nicht mehr in Frage gestellt wird. Traditionelle Namen wie John kommen aus der Mode.

Das Internet macht aus der ganzen Welt eine 6 Milliarden Menschen starke Nachbarschaft. Die Definition der Gemeinschaft wird auf den Kopf gestellt.

Durch die europäische Einigung müssen Eltern aus Deutschland damit rechnen, dass ihr Baby eines Tages in Irland oder Italien arbeiten wird. Bei der Namensgebung bieten sich darum international anmutende Namen an, die auch in anderen Sprachen schön klingen und überhaupt ausgesprochen werden können.

Familie Townsend aus Amerika erwägt, ihre Tochter Julia zu nennen. Eine Google-Recherche zeigt, dass es schon hunderte von Julia Townsends gibt. Laut der Bevölkerungsstatistik des Jahres 1910 lebten damals 101 Julia Townsends in den USA. Man kann davon ausgehen, dass diese nur ausnahmsweise miteinander bekannt waren. Die Namensgleichheit hat sich wohl nicht auf den Alltag ausgewirkt. Heutzutage ist es dank Globalisierung und Internet anders – allein die Konkurrenz um die besten E-Mail-Adressen sorgt für Berührungspunkte.

Die Auswirkungen der neuen Online-Welt sind noch weitreichender. Oft ist der Name das einzige oder zumindest das erste, was andere von einem erfahren. Können Sie damit einen guten Eindruck machen? Je vielfältiger die Vornamenslandschaft wird, desto mehr kulturelle und soziologische Botschaften sind im Namen verschlüsselt.

Oft gleichen sich heutzutage die Methoden zur Wahl eines Babynamens und eines Markennamens. Eltern wählen einen Namen, der ihrem Kind optimale Möglichkeiten in der wettbewerbsorientierten Gesellschaft erschließt. Warum auch nicht? Es gibt keinen besseren Namen, als den, der das Kind besonders intelligent, dynamisch, gebildet und vertrauenswürdig erscheinen lässt.