Zweitname als Rufname – kein Problem?

von Annemarie Lüning

Bei zwei Vornamen wird gern angenommen, Name eins sei der Rufname. Das stimmt auch meistens, muss aber nicht zwingend so sein. Was dafür sprechen kann, einen nachgeordneten Namen zum Rufnamen zu küren, und worauf Sie dabei gefasst sein sollten.

Wolfgang Amadeus Mozart erhielt bei seiner Taufe anno 1756 die Vornamen Joannes Chrysostomus Wolfgangus Theophilus. Der drei Jahre jüngere Dichterfürst Schiller hieß eigentlich Johann Christoph Friedrich. Zwei von vielen Beispielen, die belegen, dass es durchaus Tradition hat, wenn sich ein anderer als der an erster Stelle stehende Vorname als Rufname etabliert.

Gleichberechtigte Namen

Woher kommt die Ansicht, der Erstname sei der wichtigste? Weil es – ohne konkrete Zahlen nennen zu können – mittlerweile in der Mehrzahl der Fälle so ist. Das hängt eng mit den Motiven dafür zusammen, weshalb überhaupt ein Zweitname angefügt wird. Soll damit beispielsweise ein Verwandter oder Pate geehrt werden, bleibt dieser Name oft stumm. In der Bundesrepublik Deutschland mussten Eltern sich bis 1960, in der DDR bis zur Wiedervereinigung verbindlich auf einen Rufnamen festlegen. An welcher Stelle er stand, war egal, er wurde in der Geburtsurkunde durch Unterstreichung kenntlich gemacht, und das war’s. Dass heute alle Namen (ohne Bindestrich!) gleichberechtigt nebeneinanderstehen, liefert manchen Eltern erst den Grund dafür, zwei oder mehr Namen zu vergeben: „Unser Kind soll einmal mitentscheiden können, wie es heißen möchte.“

Ästheten und Pragmatiker

In Diskussionen zur Frage, ob man den Zweitnamen als Rufnamen anpeilen könne, kristallisieren sich zwei Gegenpole heraus: Die Ästheten legen größten Wert auf den „runden“ Gesamtklang einer Namenskombination. Das Kind Mina Lisbeth nennen, es aber Lisbeth rufen ist hier kein Problem. Die Pragmatiker halten dagegen, indem sie mögliche Komplikationen heraufbeschwören. Auf den Gesamteindruck gibt diese Gruppe wenig, da der überzählige Name ohnehin unter den Tisch falle und das fein austarierte Gleichgewicht von Erst-, Zweit- und Nachnamen ja auch irgendwann durch Heirat durcheinandergeraten könne. Oder es wird argumentiert: „Wenn dir der Erstname nicht so gut gefällt, dass du dein Kind so rufen möchtest, hast du wohl noch nicht den richtigen gefunden.“

Zweitname als Rufname

Pro- und Kontra-Argumente

Was kann außer einem eventuell stimmigeren Klang noch für den Zweitnamen als Rufnamen sprechen?

  • Tradition: Die Kinder von Michaela (Jahrgang 1974) aus Hamburg werden Jannes und Talea gerufen. Tatsächlich hat die Mutter, die vollständig Dagmar Michaela heißt, bewusst eine Tradition fortgeführt, „wie bei meinem Vater und dessen Eltern“, und ihre Kinder Jorias Jannes und Katherin Talea genannt. Die Erstnamen sind Abwandlungen von Namen aus der Familie. „Wir mögen diese Namen sehr, sie passen aber nicht so gut zu unserem Nachnamen.“ Also auch hier: Ästheten.
  • Mehr Gewicht für den Extra-Namen: Gerade weil der erste Name größere Beachtung erfährt, fällt er nicht so leicht hintenüber wie ein stummer Zweitname; im Idealfall „lebt“ er mit. Ein Jan Rasmus, Rufname Rasmus, dürfte öfter seinen vollen Namen hören – jedenfalls dort, wo er Jan mit angegeben hat – als ein Rasmus Alexander mit demselben Rufnamen. Grundsätzlich müssen sämtliche Vornamen nur in hochoffiziellen Dokumenten auftauchen.

Und was spricht dagegen?

  • Erklärungsbedarf: „Es kommt immer mal wieder vor, dass meine Kinder und ich mit unseren Erstnamen angesprochen werden“, berichtet Michaela. Ihre Namenswahl beweist, dass sie das halb so wild findet. Beim Kinderarzt laufen ihre beiden von vornherein nur unter den Rufnamen.
  • Es kann anders kommen: Nicht alles liegt im Einflussbereich der Eltern. Bei einem als stumm geplanten Erstnamen ist das Risiko, dass das Kind irgendwann doch so gerufen wird, höher als bei einem stillgelegten Zweitnamen. Sei es, weil Oma und Opa hartnäckig den „schöneren“ ersten Namen nutzen oder weil man der ständigen (?) Korrekturen müde wird.

Tipp: Überlegen Sie sich schon bei der Planung der Geburtsanzeige, wie Sie es kenntlich machen, wenn Sie Ihr Kind bei seinem zweiten (dritten, vierten …) Namen rufen möchten, zum Beispiel durch Fettschrift – oder die klassische Unterstreichung. So speichert Ihr Umfeld den Namen gleich richtig ab.

Anne Shirley, Shirley, Anne

Dass Anne Shirley (Jahrgang 2006) heute von vielen mit ihrem Zweitnamen gerufen wird, war nicht so geplant. Die Eltern wollten beide Namen nutzen (Anne deutsch gesprochen). Dieser Plan kam jedoch früh ins Wanken: „In der Krippe gab es eine Erzieherin namens Anna. Daraufhin wurde unsere Tochter plötzlich nur noch Shirley genannt, und das hat sich als Lauffeuer zu allen Freunden durchgearbeitet.“ Mittlerweile wechselt die Mutter hin und her: „Wenn ich sie jemandem vorstelle, ist sie Anne Shirley. Wenn ich sie rufe, dann meist Shirley.“ Etwas ärgerlich findet die Mutter, nicht aber die Tochter das außerdem noch kursierende „Einfach-Anne“: „Die Leute haben keine Lust auf die Langform und fragen Shirley gleich beim Kennenlernen, ob sie sie nicht auch Anne nennen können. Schwupps, ist der Name gekürzt.“

13 Gedanken zu „Zweitname als Rufname – kein Problem?“

  1. Bei meinem älteren Bruder, meiner jüngeren Schwester und mir ist es auch so, dass unser Zweitname jeweils der Rufname ist. Probleme hatten wir damit nie, aber es kennen auch nur wenige unseren stummen Erstnamen. Bei uns sind die Erstnamen auch aus Familientradition gewählt worden. Mein Bruder heißt mit EN wie unser Papa und meine Schwester und ich tragen als EN den stummen Zweitnamen unserer Mutter (ihr EN ist nordisch, unisex und klanglich nicht so schön) und den Rufnamen unserer Tante väterlicherseits (das ist übrigens der gleiche Vorname).

    Lg, Steffi

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  2. meine kinder haben noah bzw. eska als erstnamen, skandinavische zweitnamen, die ursprünglich gerufen werden sollten. grundsätzlich geben wir den ersten namen nur an, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt, es führt zu verwirrungen. beispiel: mein sohn wurde in der kinderklinik mal ausgerufen, mit seinem erstnamen, und der nachname wurde dann auch noch prompt falsch ausgesprochen. es dauerte fünf anläufe, bis wir begriffen haben, dass wir gemeint sind 🙂 seither geben wir den ( ohnehin inzwischen kevinismus-gefährdeten) noah nicht mehr an.
    im alltag wurden völlig andere rufnamen daraus. aus gründen, die niemand nachvollziehen kann, haben beide inzwischen rufnamen, die nichts mit dem eigentlichen zu tun haben.

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  3. Ich selbst heiße Anna Katharina, Rufname war immer Katharina. Klar, klingt schöner als Katharina Anna, da kann ich meinen Eltern nur zustimmen, aber unpraktisch fand ich es immer. In der Schule und an der Uni war natürlich mein ganzer Name aufgeführt (muss ja für offizielle Dokumente wie Zeugnisse so sein), sodass ich von neuen Lehrern immer erstmal Anna genannt wurde, was meine Mitschüler immer sehr amüsiert und mich sehr genervt hat.
    Ein weiteres Problem hat sich bei Ärzten gezeigt. Auf der Krankenkassenkarte steht ja auch der volle Name, und wenn ich dann anrufe wegen einem Termin oder sonstigem, dann finden sie mich unter „Katharina …“ immer nicht, weil ich als „Anna …“ im Computer gespeichert bin.
    Daher habe ich bei unserem Sohn darauf bestanden, dass wir eine Kombination nehmen, wo der Erstnahme auch der Rufname ist, und würde es auch bei jedem Kind wieder so machen.

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  4. Mein Zweitname ist auch bei mir der Rufname. Mein Erstname ist der Rufname meiner Mutter. Diese Tradition habe ich bei meinen Kindern fortgesetzt, d.h. Erstname ist jeweils der Rufname eines Elternteils (ich habe Sohn und Tochter), Zweitname ist deren Rufname. Bei einer Bank kam es schon zu Verwechslungen. Lt. Personenstandsgesetz ist es nicht zwingend erforderlich, dass der Rufname als erster Vorname stehen muss. Die Entscheidung über die Reihenfolge der Vornamen ist allein Sache der Eltern.
    Meine Frage ist nun, warum wird nicht weiterhin dafür gesorgt, dass in offiziellen Dokumenten, z.B. Personalausweis, der Rufname kenntlich gemacht wird, entweder durch Unterstreichung, wie es früher der Fall war, oder durch Fettdruck? Darf eine Behörde willkürlich die Reihenfolge der Vornamen ändern, so dass der Rufname an erster Stelle steht?

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    • Nein, eine Behörde darf nicht willkürlich die Reihenfolge der Vornamen ändern. Warum der Rufname nicht kenntlich gemacht wird fragen Sie am besten den Bundestagsabgeordneten Ihres Wahlkreises. Der ist ja schließlich für die Gesetzgebung verantwortlich.

  5. 74 Jahre war mein Vorname Roswitha Barbara wobei lt. Geburtsurkunde der Zweitname Barbara unterstrichen ist und ich mein ganzes Leben Barbara gerufen wurde und auch nur so bei allen Behörden unterschrieben habe. 2014 bekam ich einen neuen Personalausweis, da wurde der Rufname geändert (angeblich lt. EU) ich müßte jetzt alle amtlichen Dokumente ändern

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  6. Seit 59 Jahren hatte ich keine Probleme mit meinem Rufnamen und Vornamen, bis zur neuen Gesetzesregelung. Am Flughafen erkannte man Rufname und Vorname nicht an, also musste ich mit 3 Vornamen unterschreiben, was ich mein Leben noch nicht getan habe. Das war mir so fremd und das war ich nicht. Mir drängt sich der Verdacht auf, dass das nur Abzocke ist, ich hatte bis dahin keine Probleme mit Ämter,Behörden im Gegenteil, erst nach der neuen Regelung traten die Unstimmigkeiten auf. Lasst doch alles wie es war, wenn ihr keine Ahnung davon habt.

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  7. Bin inzwischen 66 Jahre alt und alle Dokumente, Urkunden, etc. lauten auf meinen Rufnamen der an dritter Stelle in der Geburtsurkunde unterstrichen steht.
    Jede Textverarbeitung kennt den Unterstrich, was ist so kompliziert daran?
    Ich will weiter mit meinem Namen wie seit Geburt festgelegt angesprochen werden, eine Änderung der Reihenfolge meiner Vornamen lehne ich ab.

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    • Ich sehe das exakt genauso. Wieso kann nicht mein dritter Name einfach mein Rufname sein? Wieso muss ich erst die Reihenfolge meiner Namen ändern lassen, damit mein dritter Name mein Rufname werden kann, weil er dann an erster Stelle steht? So ein Schwachsin….

  8. Wir haben uns für unser Kind für zwei altmodische, lange Namen entschieden, aus denen sich je zur Hälfte der Rufname ergibt. (offizielle Vornamen ohne Bindestrich, den Rufnamen mit Bindestrich)
    Kann ich auch diesen Rufnamen verwenden, wenn ich das Kind zum Beispiel bei einer Kita oder zur Schule anmelde, damit das Personal nicht den ersten Vornamen verwendet ?

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    • Also so wie z. B. offiziell „Rosemarie Hildegard“ und als Rufname „Marie-Hilde“? Da bin ich skeptisch ob das akzeptiert wird. Am besten mal bei der Kita oder Schule nach der Meinung fragen oder für eine verbindlich Auskunft einen Anwalt.

  9. Ich bin Jahrgang 1922, und als ich geboren wurde, war es üblich, dass der oder die erstgenannten Namen eine Verbindung zu den genannten Namen bedeutete und der zuletzt genannte der Rufname war. Fast 1oo Jahre lang hatte ich damit keinerlei Probleme, bis mir jetzt meine Bank ein Formular zur Anerkennung der neuen Geschäftsbedingungen mit meinem Erstnamen zusandte, das ich ja nur mit meinem Rufnamen hätte unterschreiben können und damit wäre das Dokument ungültig gewesen. Deshalb schickte ich es zurück mit der Bitte um ein Formular mit meinem Rufnamen. Bis heute habe ich das nicht bekommen, aber den üblichen Bankbericht mit den Vermögensdaten erneut mit dem Erstnamen, wodurch die Daten auch in fremde Hände kommen können. Dazu kommt, dass ich den vierthäufigsten Familiennamen trage. Da ich in einem Zweifamilienhaus wohne, besteht für mich keine Gefahr. Angenommen, ich lebte in einem der sehr großen Häuser mit vielen Familien und der gleichen Adresse mit häufig vorkommenden Familiennamen, so besteht bei der jetzigen Art der Postzustellung, ständig neue Postboten, durchaus die Gefahr der Verwechslung und damit die Verletzung des Postgeheimnisses. Wenn man im Internet die zu beachtenden Folgen des Gesetzes liest, fragt man sich, wem das nützen soll: Der leider typisch deutschen Bürokratenseele und sonst niemanden. Dazu kommt, dass die Verordnung unklar gehalten ist. Mein neuer Personalausweis trägt wieder beide Namen und das Amt hat nicht auf das neue Gesetz hingewiesen, sonst hätte ich gleich beim Standesamt die Reihenfolge ändern lassen.

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