Nur einen Eigennamen

Von Tileman Dothias Wiarda, 1799 (bearbeitet von Knud Bielefeld)


Tileman Dothias Wiarda

§ 8. Bis zur Einführung des Christentums und späterhin führte der Deutsche nur einen Eigennamen.

Die alten Deutschen legten also ihren Kindern bald nach der Geburt, unter gewissen Feierlichkeiten und besonders durch Besprengung mit Wasser den Namen bei, den sie beständig führen sollten. Man verstößt sich daher wohl nicht, wenn man die alten germanischen Namen, so wie die heutigen den Kindern bei der Taufe beigelegten Namen, Taufnamen nennt. Gewöhnlich führt jetzt der Deutsche zwei oder auch wohl mehrere Taufnamen. So war es bei den alten Deutschen und überhaupt bei den Germanen nicht. Diese gaben ihren Kindern nur einen Namen. Die Geschichte, worin uns die Namen bei den alten Deutschen aufgehoben sind, beweist es. Dieser alten vaterländischen Sitte blieb auch der Deutsche noch in den mittleren Zeiten getreu. Bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts treffen wir nur einen einzigen Taufnamen bei den vorkommenden Personen an. Freilich kommen wohl in alten Urkunden mehrere in einer Reihe stehende Taufnamen vor, allein dann fehlen die Interpunktionen und jeder einzelne Name bezeichnet nur eine besondere Person. Auch darf man sich nicht durch mehrere einer Person zustehende Namen irreführen lassen, wenn man nur Geschlechtsnamen und Beinamen von Taufnamen unterscheidet; nur von diesen ist aber hier die Rede. So führt der Chinese sogar vier Namen. Einen, der ihm nach der Geburt beigelegt wird, den zweiten, den er bei dem Eintritt in die öffentliche Schule erhält, den dritten, den ihm seine Verwandtschaft erteilt, wenn er das mannbare Jahr erreicht, der vierte ist ein angenommener seinem Amte entsprechender Name. Aber darum hat der Chinese doch nur einen Eigennamen. Dass unsere alten Vorfahren noch im Mittelalter nur einen Eigennamen gehabt haben folgt auch daraus, dass jemand „binominis“ oder „zweinamigter“ genannt wurde, wenn er zum Christentum überging und bei der Taufe sich einen Namen geben ließ. Folglich muss noch damals die Annahme zweier Namen als etwas Seltenes angesehen worden sein. Aber auch dann hatte der Täufling eigentlich noch keine zwei Namen, weil von diesen der eine Name nur ein Beiname war. Wir können also mit Gewissheit annehmen, dass der Deutsche von den ältesten Zeiten an bis zur Einführung des Christentums nur einen Eigennamen gehabt, und er auch späterhin, wenn ihm bei der christlichen Taufe auch mehrere Namen beigelegt worden, bis gar in das fünfzehnte Jahrhundert sich doch nur eines Taufnamens in der bürgerlichen Gesellschaft bedient habe. Erst später riss die Gewohnheit ein, die Kinder mit so vielen Taufnamen als wirklichen Eigennamen zu belästigen, dass hin und wieder durch Landesherrliche Verordnungen diesem Unwesen Grenzen gesetzt wurden. Vielleicht sah man, so wie noch jetzt bei den Griechen, die Vielheit der Namen für eine besondere Auszeichnung an. Daher mag es vielleicht kommen, dass auch in einigen fürstlichen Häusern die Gewohnheit beibehalten wird, die Kinder mit einer langen Reihe von Taufnamen auszuschmücken. So war, um nur ein Beispiel anzuführen, der letzte Kaiser Joseph, Joseph Benedict August Johann Anton Michael Adam getauft. [Anmerkung: gemeint ist Joseph II, von 1765 bis 1790 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation]