Berühmte Namensträger: Richard

Von Ernö und Renate Zeltner


In England wird der heilige Richard (13. Jahrhundert), Bischof von Chichester, Pionier der englischen Kirche und fanatischer Kreuzzugsprediger, hoch verehrt. Er starb 1253, schon neun Jahre später war er heiliggesprochen. Er lebt ebenso wie sein berühmter Namensvetter König Richard I. Löwenherz (12. Jahrhundert) in den Herzen seiner Landsleute weiter. Die Könige Richard II. und Richard III. kamen durch die Trauerspiele von Shakespeare zu ruchloser Berühmtheit.

Erst im 19. Jahrhundert wurde Richard auch bei uns populär. Nicht nur Musikinteressierten fallen bei diesem Namen zwei große Komponisten ein. Sowohl Richard Wagner wie der um ein halbes Jahrhundert jüngere Richard Strauss waren Erneuerer, brachen mit der Tradition und gingen eigenwillige Wege; ihre Musik war anfangs gleichermaßen umstritten, und es brauchte Zeit, bis sie sich endgültig durchsetzte.

Obwohl erst 15 Jahre alt, hat sich der junge Strauss – vermutlich vom Vater beeinflusst – bereits ein Urteil über Richard Wagners Musik gebildet. Im Brief an einen Freund heißt es da über eine >Siegfried<-Aufführung:

Ganz grauenhaft habe ich mich gelangweilt, so fürchterlich, dass ich Dir’s nicht sagen kann, es war scheußlich. Die Einleitung ist ein langer Paukenwirbel mit Bombardon und Fagotten, die in den tiefsten Tönen brüllen, was so dumm klingt, daß ich gerade hinausgelacht habe. Von zusammengehörigen Melodien keine Spur. – Ich sage Dir, eine Unordnung ist da drin, Du machst Dir nicht den leisesten Begriff. – Bei dieser Stelle [Mimes > War’s Dir noch nie?<] wär eine Katz krepiert und sogar Felsen wären vor Angst vor diesen scheußlichen Mißtönen zu Eierspeisen geworden … und der letzte Akt ist langweilig zum Verre … (cken). Die Szene zwischen Siegfried und Brunhild immer nur Adagio; ich dachte mir, kommt denn kein Allegro; nein, dieses grauenhafte Geheul und Gewinsel von einer Septime in die None herunter, dann wieder hinauf, so – geht’s immer fort … wenn Du die ersten Szenen des 1. Aktes gehört hast, hast Du das ganze Gewäsch gehört, denn es wiederholt sich alles wieder. Das einzige, was wenigstens gestimmt hat, war der Gesang des Waldvogels.

Doch schon wenige Jahre später wurde Strauss ein begeisterter Verehrer Wagners.

 

Richard Wagner

Richard Wagner (1813-1883) erfuhr auf seinem äußerst unebenen künstlerischen Weg und bei der Verwirklichung seiner hochgesteckten Ziele – der musikalischen und dramaturgischen Erneuerung der Oper als Gesamtkunstwerk und dem Bau der festlichen Halle in Bayreuth – auch von Autoritäten seiner Zeit strikte Ablehnung. Ungezählte namhafte Musiker (unter anderen auch Brahms) und Musikkritiker begegneten ihm mit völligem Unverständnis. Er wurde ein »dreister Musik-Charlatan«, ein »Cagliostro der Tagesmusik« und der »Schlaue Rattenfänger von Bayreuth« genannt. Friedrich Nietzsche, der zwiespältige und häufig wechselnde Gefühle für Wagner hegte, hat einmal böse angemerkt: »Wagner wirkt wie ein fortgesetzter Gebrauch von Alkohol. Er stumpft ab, verschleimt den Magen. Spezifische Wirkung: Entartung des rhythmischen Gefühls.« Auf der anderen Seite lehnten die Jünger des Komponisten, die »Wagnerianer«, strikt alles ab, was nicht vom »Meister« stammte.

Es ist kein Geheimnis, dass Wagner bei all seiner musikalischen Genialität große Charakterschwächen hatte, seine Lebensführung melodramatisch und zeitweise skandalös war, ihm Eigensucht, Großsprechertum und Unzuverlässigkeit keineswegs fremd blieben. Buchstäblich alles – Ehre, Freundschaft und zuweilen auch die Liebe – konnte er rücksichtslos den künstlerischen Zielen unterordnen. Ein merkwürdiges Kapitel seines Lebens ist die Freundschaft mit dem schönen, etwas verrückten bayerischen König Ludwig II; und dennoch: Wagner ist einer der größten Musikschöpfer aller Zeiten.

Seine Musikdramen >Der fliegende Holländer<, >Tannhäuser<, >Lohengrin<, >Tristan und Isolde<, >Die Meistersinger von Nürnberg< und >Parsifal< sind auch heute feste, unentbehrliche Teile des Repertoires der Opernhäuser in aller Welt, und für die Festwochen in seinem 1876 mit >Der Ring des Nibelungen< (seiner alles überragenden Tetralogie, bestehend aus >Rheingold<, >Walküre<, >Siegfried< und >Götterdämmerung<) eröffneten Bayreuther Festspielhaus sind Karten auch heute noch nur nach jahrelangem Vormerken zu bekommen.

Ganz anders als Wagners künstlerischer Werdegang gestaltete sich die Karriere des jungen Richard Strauss (1884-1949); behütet und sorglos wuchs er auf, Musik beherrschte auch den Alltag im Elternhaus; der Vater war gefeierter Hornist des Münchner Hofopernorchesters, seine Mutter die musisch veranlagte Tochter des Brauereibesitzers Pschorr. Richard spielte schon mit vier Jahren Klavier und begann mit sechs zu komponieren.

Die Frühwerke sowie Strauss‘ Arbeit als Kapellmeister in München standen noch unter dem Einfluss seiner Lehrmeister, waren dem traditionellen Geschmack verpflichtet. Zum musikalischen Aufrührer wurde er etwa ab der Jahrhundertwende mit späteren Werken. Tondichtungen wie >Don Juan< und >Till Eulenspiegel< brachten neue Klangeffekte; seine radikalen Ausdrucksmittel erregten Aufsehen in der musikalischen Welt. Jetzt begannen jahrelange Fehden mit der Kritik und auch mit dem Publikum. Die Oper >Salome<, 1905 in Dresden uraufgeführt, ließ die Wellen der widerstreitenden Meinungen hochschlagen. Gustav Mahlers Urteil war trotz mancher Mängel der Erstaufführung, »dass das eines der größten Meisterwerke unserer Zeit ist«. Wogegen der greise Vater Strauss nichts mehr damit anzufangen wusste: »Gott, diese nervöse Musik! Das ist ja gerade, als wenn einem lauter Maikäfer in der Hose herumkrabbelten.« Auf die Reaktion Kaiser Wilhelms II. nach der Berliner Aufführung (»Sie werden sich mit diesem Werk janz furchtbar schaden«) soll des stets sehr geschäftstüchtigen Strauss‘ späterer Kommentar gewesen sein: »Von diesem Schaden konnte ich mir die Garmischer Villa bauen!«

Im >Rosenkavalier< schlug er dann aber wieder verbindlichere Töne an, kehrte zu den klassischen Traditionen zurück.

Richard Strauss
Richard Strauss (1918)

Strauss war ein sehr fruchtbarer Komponist. Sein Œvre umfaßt Lieder, Chorwerke, 16 Opern, darunter sechs in Zusammenarbeit mit Hugo von Hofmannsthal, und ein reiches symphonisches Werk; gleichzeitig behielt er als sichere Existenzgrundlage die Dirigententätigkeit bei. Von der Jahrhundertwende bis in die Jahre des Zweiten Weltkriegs war Richard Strauss unumstrittene Autorität auf musikalischem Gebiet in Deutschland. Daß er sich 1933 zum Präsidenten der Reichsmusikkammer wählen ließ, hat seinem Ansehen schwer geschadet. In dieser durchaus unbequemen Funktion war Strauss einmal im Propagandaministerium vorgeladen – es ging um einen Brief, den der Präsident in Sachen Musiker-Tantiemen geschrieben hatte. Der Komponist Werner Egk war Zeuge und hat über den Vorfall berichtet: Minister Goebbels befahl Ritter (Direktor der Gesellschaft zur Verwertung der musikalischen Urheberrechte) vorzulesen, was Strauss ihm geschrieben habe – nämlich »Nach der genehmigten Satzung der GEMA entscheiden wir selbst über unsere Verteilungsplanfragen. Der Doktor Goebbels hat sich da nicht einzumischen.« »Goebbels nahm Ritter den Brief aus der Hand, schlug auf das Papier und schrie: >Herr Strauss, haben Sie das geschrieben?< Strauss: >Ja, das habe ich geschrieben< Goebbels: >Schweigen Sie, und nehmen Sie zur Kenntnis, dass Sie keine Vorstellung davon haben, wer Sie sind und wer ich bin!< Strauss kam nicht mehr zu Wort. Goebbels: >Außerdem höre ich, dass Sie Lehár als Gassenmusikanten bezeichnet haben !< Ohne Luft zu holen, brüllte er weiter: >Ich habe die Möglichkeit, Ihre Unverschämtheiten in die Weltpresse zu lancieren! Ist Ihnen klar, was dann geschieht? Lehár hat die Massen, Sie nicht! Hören Sie endlich auf mit dem Geschwätz von der Bedeutung der Ernsten Musik! Damit werden Sie sich nicht aufwerten! Die Kultur von morgen ist eine andere als die von gestern! Sie, Herr Strauss, sind von gestern!<« Goebbels versprach nichts und warf Strauss und Egk hinaus. »>Hätte ich doch meiner Frau gefolgt und wäre in Garmisch geblieben<, sagte Strauss, und Tränen liefen ihm über die Wangen.«