Berühmte Namensträger: Victoria

Von Ernö und Renate Zeltner


Die altrömische Siegesgöttin hieß Victoria, und es gab auch Heilige, Fürsten, Könige und Königinnen dieses Namens. Eine, die britische Königin Victoria (1819-1901), überragt sie alle; allerdings hatte sie, als sie mit 81 starb, auch nicht weniger als 63 Regierungsjahre hinter sich. Auf dem Weg von der Insel Wight zum Hafen Portsmouth wurde die königliche Jacht mit dem Leichnam Victorias von schwarzlackierten Torpedobooten eskortiert; sie zogen durch ein doppeltes Spalier von Schiffen der britischen Flotte, von französischen, deutschen und russischen Kriegsschiffen. Auf dem letzten Weg der Queen in London folgte der gesamte europäische Hochadel dem Sarg – zu Pferd die Verwandten, Souveräne, allen voran der deutsche Kaiser, dann die Könige von Belgien, Portugal und Griechenland.

Aufgrund ihrer Herkunft (sie war eine geborene Prinzessin von Sachsen-Coburg-Gotha) und durch die Heiraten ihrer zahlreichen Kinder war Victoria mit fast allen europäischen Herrscherhäusern verwandt – man nannte sie liebevoll »die Großmutter Europas«. Unwillkürlich kommt einem dabei der auf die heiratswütigen Habsburger bezogene Ausspruch »Bella gerant alii! tu, felix Austria, nube! …« (Krieg führ’n lasse die andern! du, glückliches Österreich, heirate! …) in den Sinn, den einst König Matthias Corvinus von Ungarn getan haben soll. Doch das Britische Weltreich kam zur Zeit Victorias allein mit geschickter Heiratspolitik und ganz ohne Kriege nicht aus, man denke nur an den Opiumkrieg in China, den Sepoy-Aufstand in Indien oder den Burenkrieg in Südafrika.

Queen Victoria
Queen Victoria (1837)

Während ihrer Regentschaft wurde das Empire nicht nur fast unüberschaubar groß und mächtig – Victoria war Herrin über ein Viertel der Erde und regierte annähernd vierhundert Millionen Menschen –, das Mutterland erlebte unter ihr auch eine beispiellose wirtschaftliche Blüte. Zwar war die Krone, wie es sich für eine konstitutionelle Monarchie gehörte, eine parteipolitisch neutrale Institution – die ansonsten selbstbewusste und eigenwillige Königin überließ das politische Handeln weitgehend ihren Premierministern und dem Parlament –, aber dennoch prägte die ungewöhnliche Frau den Regierungs- und Lebensstil der ganzen Epoche. Dank der musterhaften Ehe mit Prinz Albert und ihrer persönlichen Lebensführung wurde sie selbst und auch die unter ihren Vorgängern in Misskredit geratene Monarchie beim Volk wieder sehr beliebt.

Ihren Namen trägt die höchste britische Tapferkeitsauszeichnung, ein australischer Bundesstaat, der größte See, die gewaltigsten Wasserfälle Afrikas und ein Teil der Antarktis, ebenso die Hauptstädte der Kolonie Hongkong und einer kanadischen Provinz – und sie gab schließlich einer ganzen Epoche ihren Namen, dem glanzvollen Viktorianischen Zeitalter.

Nur ein recht gewagter Sprung kann uns von Königin Victoria auf der Mutterinsel des Britischen Empires zu einer Vicki ins kaiserliche Wien bringen. Als England gerade seine verehrte Queen im Mausoleum des Schlossparks von Windsor an der Seite von Prinzgemahl Albert zur ewigen Ruhe bettet, da erntet die eben 13jährige Vicki Baum als Harfenspielerin in öffentlichen Auftritten bereits großen Beifall. Dabei kommt es einem doch vor, als müssten ganze Epochen zwischen diesen ungleichen Namensschwestern liegen.

Die Wienerin Vicki Baum (1888-1960) wirkte ab 1916 als Harfensolistin in der hessischen Residenz Darmstadt; in ihrer Freizeit schrieb die begabte Musikerin Erzählungen und Romane. Sie wurde vom Ullstein Verlag entdeckt und 1926 als Lektorin und Redakteurin nach Berlin geholt. Ihre ersten Unterhaltungsromane erschienen in der erfolgreichen >Berliner Illustrierten <. Berühmt und international bekannt machte sie dann der 1929 veröffentlichte Unterhaltungsroman >Menschen im Hotel<, für den die Autorin inkognito als Stubenmädel im Berliner Grand Hotel Milieustudien betrieben hatte. Der Erfolgsroman wurde auch fürs Theater bearbeitet und zweimal verfilmt. Der mit Greta Garbo 1932 gedrehte Streifen war weltweit ein Kassenschlager; er ebnete Vicki Baum den Weg nach Hollywood. Auch mehrere ihrer späteren Romane wurden verfilmt. In Deutschland bekam sie während der Nazizeit Schreib- und Veröffentlichungsverbot. Die inzwischen in den USA etablierte Erfolgsautorin produzierte ihre Romane weiterhin nach bewährtem Muster, mit spannend konstruierten Storys, viel Milieukenntnis und guter Charakterzeichnung. Dennoch hatten sie nicht mehr den Erfolg früherer Bücher – der Geschmack der Leser war ein anderer geworden. Sicher, der Verlust für die Literatur hielt sich in Grenzen, aber beispielhaft und segensreich war das Eintreten der »mondän versierten, wohlwollend humanen« Frau für viele aus Nazideutschland emigrierte Künstler, Journalisten, Wissenschaftler, die unter Heimweh, Entwurzelungsneurosen und Existenzsorgen litten – so beschreibt Klaus Mann sie in seinem Lebensbericht >Der Wendepunkt<. Dort heißt es auch:

Der Zuspruch … kommt von einer warmherzig klugen Frau, die, als einzige hier im Kreise, schon lange in Amerika zu Hause ist und weiß, wovon sie spricht, wenn sie behauptet: >Nicht schwerer hier als sonstwo! Plagen muss man sich überall.< Vicki Baum hat sich geplagt und hat sich durchgesetzt. Sie ist Amerikanerin, schreibt ihre Bücher wohl gar schon in der Sprache des neuen Landes. Wäre man erst soweit! Die etwas verstörten >Menschen im Hotel< (118 East 40th Street) lassen sich gern beraten und ermutigen von einer, die eigentlich nicht mehr in diesen Kreis gehört. Frau Vicki, seltener Gast aus Kalifornien, wo sie mit ihrem Musikergatten und zwei amerikanisch erzogenen Söhnen stattlich residiert, hat Autorität und Charme, ist kameradschaftlich und welterfahren. Wir lauschen ihr mit Respekt und Dankbarkeit.

Von der gelegentlich unfairen Behandlung durch die etablierte Literaturkritik ließ sich die selbstbewusste Erfolgsautorin niemals irritieren. Bezeichnend für sie war, was sie in ihrer Autobiographie (>Es war alles ganz anders<) über sich gesagt hat:

Ich bin mir selbst viel zu arrogant, als dass mich Lob oder Tadel berühren könnten. Wenn ich mein Können manchmal an Schmarren verschwendet habe, so geschah das ganz bewusst in dem Bestreben, mein Werkzeug zu schärfen, mir mein handwerkliches Können zu beweisen und natürlich auch, weil ich Geld brauchte. Ich weiß, was ich wert bin; ich bin eine erstklassige Schriftstellerin zweiter Güte. Die Glühwürmchenillusionen von Unsterblichkeit sind mir fremd.