Wenige fremde Namen eingeführt

Von Tileman Dothias Wiarda, 1799 (bearbeitet von Knud Bielefeld)


§ 36. Dagegen sind aus dem Verkehr mit Ausländern wenige fremde Namen eingeführt.

Die heutigen Taufnamen der Deutschen sind also entweder germanischen Ursprungs oder von den Heiligen entweder aus der Bibel oder den Legenden hergenommen. Sollte aber nicht der Verkehr mit anderen Völkern und die Ansiedelung und Niederlassung einzelner Personen oder ganzer Familien aus dem Ausland auch die Einführung fremder Namen veranlasst haben? Um diese Frage zu erörtern, müssen wir einen Blick über die Völker rund um uns her in Europa werfen. Aus den übrigen Weltteilen lässt sich keiner in Deutschland nieder – es sei denn, dass er selbst ein zurückkommender Europäer ist oder wenigstens seine Vorfahren Europäer gewesen sind. Ein solcher Ausländer bringt also wieder europäische Taufnamen zurück. Wir beschränken uns also lediglich auf Europa und darin auf die europäische Christenheit, weil auch die Türken sich nicht mit uns vermischen und sich nicht unter uns niederlassen. Wir treffen daher in Deutschland keinen Ali, Ahmet, Muhammed, Osman, Mustafa, Ismael usw. an. [Zur Erinnerung: diese Abhandlung wurde im Jahr 1799 verfasst.]

Auch die Niederlande und die Schweiz überheben uns als vormalige deutsche Provinzen um so viel mehr einer Untersuchung, weil noch jetzt Schweizer und Niederländer gerade so wie die Deutschen teils germanische, teils von den Heiligen entlehnte Namen führen. Frankreich, Spanien, Portugal, Russland, Polen und Ungarn sind so sehr mit biblischen Namen und Namen der Heiligen überschwemmt, dass man unter den Eingeborenen wenige andere Namen darin antrifft. Die Taufnamen, welche nicht zu dieser so großen und ausgebreiteten Klasse gehören, sind fast gewöhnlich germanischen Ursprungs und durch die Völkerwanderungen und nachfolgenden Verkehr in diese Staaten verpflanzt. Carl, Ludwig, Heinrich, Wilhelm etc. blühen rein oder durch ausländische Dialekte etwas verändert durch ganz Europa. Der Engländer führt zwar nicht so viele Namen aus der Bibel und von den Heiligen, doch haben sich auf den britischen Inseln die von den Angelsachsen und Normannen überführten germanischen Namen darin mehr ausgebreitet als in Frankreich, Spanien und Portugal. Die Dänen, Schweden und Norweger führen echt germanische Namen oder Namen der Heiligen. Es kann also der Verkehr mit allen diesen Völkern und ihre Ansiedeleien in Deutschland wenigen Einfluss auf unsere jetzigen gangbaren Namen haben. Die Spanier und Portugiesen haben zwar noch verschiedene eigentümliche Taufnamen (z. B. Gomez, Diego, Gonzales, Albarus, Hustadus, Ximenes, Armanda, Aloisia, Alphonsus, Xaver, Isabella). Weil sich aber selten ein Spanier oder Portugiese in Deutschland nieder lässt, haben auch diese Namen nicht auf deutschem Boden gedeihen können. Einzig der Name Xaver ist nach Frankreich gewandelt und von dort zu uns gekommen. Auch ist die spa-nische Isabella auf deutschen Boden verpflanzt. Sie ist aber kein neues Gewächs, sondern die alte auch in Deutschland aufgenommene und bekannte heilige Elisabeth, die sich nur diese Namensverschönerung hat gefallen lassen. So sind die Königin von England Isabella von Angouleme und die Königin von Spanien Isabella, König Heinrichs II. Tochter von Frankreich, bald unter dem Namen Isabella, bald unter Elisabeth aufgeführt. Weniger eigentümliche Namen schimmern unter den germanischen und heiligen Namen in Frankreich hervor. Hin und wieder ein Germain, Dominique, Francois, Hugo, Armand, Gilbert, Claude, Touffaint, Denis, Benoit etc. Aber auch hierunter stecken wieder germanische und heilige Namen. Die veränderte Mundart kann hier gar nichts richten. Wenn der eingewanderte Franzose seinen Guillaume, Jerome, Jaques, Francois nach Deutschland überbringt, so kommt doch gewöhnlich in der dritten Generation daraus wieder ein Wilhelm, Hieronimus, Jakob und Franz hervor. Erhält sich ja der Name in der französischen Biegung, so liegt doch immer der deutsche Wilhelm und Franz und der heilige Hieronimus und Jakob darin; so wie die das deutsche Bürgerrecht erhaltene Charlotte nie ihre deutsche Abkunft von Carl verkennen wird. Auch dem Engländer können wir unter der großen Schar seiner germanischen und heiligen Namen nicht einige ihm eigentümliche Taufnamen wie Oliver, Spencer, Artur, Owen und Humphred absprechen. Allein auch diese Namen sind ja wie die häufiger vorkommenden Namen William, Earle, Robert, Richard, Edmund und Eduard von den Angelsachsen und Normannen eingeführt und also ursprünglich germanischen Geschlechts. Führen Dänen, Norweger und Schweden einige von den Deutschen abweichende Namen wie Stor (oder Magnus), Olav, Knud, Kragh, Troll, Trochil, Ole, Oliger, (der englische Oliver und der deutsche Olffert oder Ulffert), Stehen, Herluf, Helm, Thage, Iver, Detelev, Dietmar, Henning, Niels, Tönne, Gustav u.s.w., so gründen sie sich doch mitei-nander in der germanischen Sprache oder es sind verstümmelte heilige Namen. So sind Niels, Tönne und Gustav keine anderen Namen als Nicolas, Anton und August. Nur Russen, Polen und Ungarn führen, außer den ihnen so gewöhnlichen Namen der Heiligen und der auch von ihnen aufgenommenen germanischen Namen, noch verschiedene eigentümliche aus der slavischen Sprache entsprungene Namen. Verpflanzen sie daher einen Wenzel, Nepomuc, Casimir, Stanislaus, Ladislaus, Bogislaus u.s.w. nach Deutschland; so führen sie uns wirkliche fremde Namen zu. Aber figurieren nicht auch hierunter wieder Heilige – ein St. Wenzel, ein St. Nepomuc? Ganz anders als alle diese Völker verfährt der Italiener. Er handelt viel freier. Zwar hat Italien die Heiligen geschaffen, aber der Italiener bindet sich nicht so sehr an die Namen der Heiligen. Zwar haben die Deutschen, welche Italien überschwemmt und unterjocht haben, ihre germanische Namen auch bei ihnen eingeführt; zwar haben diese germanischen Namen in Italien, so wie in Frankreich und Spanien, das Indigenat erhalten; allein der Italiener hat nur we-nige davon beibehalten. Er liebt die Namen seiner Vorfahren, hört gerne die Namen großer Männer der Vorzeit und bildet sich selbst neue Namen. Der Italiener hat das Glück, dass die alte Geschichte seines Landes von eingeborenen Schriftstellern verfasst ist, dass diese ihm die Eigennamen seiner Vorfahren unverstellt überliefert haben und dass die Sprache, welche seine Vorfahren redeten, noch jetzt eine ihm bekannte Schriftsprache ist, eine Schriftsprache, die sich über das ganze gelehrte Europa verbreitet hat. Rein sind ihm daher diese Eigennamen überliefert und keine abweichende Mundart hat sie ver-stümmeln können. Der Italiener hat dabei den Vorzug, dass er die Bedeutung dieser alten Eigennamen mit Gewissheit angeben und sich auch neue Namen in der reinen Sprache seiner greisen Vorfahren schaffen kann. So blühen denn noch die Eigennamen der alten Römer Flaccus, Fabius, Flavius, Lucius, Laelius, Mutius, Caius, Sempronius, Julius, Claudius, Fulvia, Javalaena, Julia usw. und die Namen sowohl römischer als ausländischer Helden und Gelehrten wie Hannibal, Aeneas, Scipio, Camillus, Caesar, Augustus, Hercules, Terrentius, Livius, Horatius, Cato, Olympia, Octavia usw. unter den jetzigen Italienern. Auch bildet er sich in der Sprache seiner Vorfahren neue bedeutende Namen, die auf Religion, Tugend, und Glücksumstände Bezug haben: wie Amadeus, Salvator, Angelus, Renatus, Baptista, Bonaventura, Faustus, Gaudentius, Placidus, Fortunatus, Modestinus, Celsus, Florens, Clemens, Benignus, Electus, Coelestinus, Hilarius, Bonifacius, Urbanus, Honoratus, Matutinus, Proba, Beata, Regina, Rosina usw.

Von diesen Namen sind verschiedene auch nach Deutschland übergegangen. Teils mittelbar durch den Verkehr der Völker, besonders der Niederländer, Schweizer, Franzosen und Spanier, die auch diese Namen von den Italienern aufgenommen haben, teils unmittelbar von den Italienern selbst, die sich in Deutschland und vorzüglich in dem südlichen Deutschland niedergelassen haben, und von ihren Geistlichen, die bei der Taufe solche Namen empfohlen. Natürlich stecken unter diesen Namen wieder viele Namen kanonisierter Heiliger und grade diese machten die weitesten Fortschritte. Der Verkehr mit Ausländern hat also, mit Ausnahme der Italiener, fast gar keinen Einfluss auf die Taufnamen der Deutschen gehabt. Aber auch die von den Italienern aufgenommenen Eigennamen, wenn wir die Namen der Heili-gen absondern, sind so wohl in Absicht der Zahl als der Ausbreitung im Verhältnis mit den germanischen und den von den Heiligen entlehnten Namen unbeträchtlich.