Namen aus dem neuen Testament

Von Tileman Dothias Wiarda, 1799 (bearbeitet von Knud Bielefeld)


Tileman Dothias Wiarda

§ 33. Diese ausländische Namen sind vorzüglich aus dem neuen Testamente

Die Namen der Heiligen haben nun zwar nicht die vaterländischen deutschen Namen verdrängt; doch haben sie sich so weit ausgebreitet, dass sie ungefähr diesen nunmehr das Gleichgewicht halten. Da die Namen der Heiligen dadurch das deutsche Heimatrecht einmal erhalten haben, müssen wir sie auch näher kennen lernen. Die Verehrung der Heiligen ist unstreitig aus dem Umgang der Christen mit den Heiden und deren Vielgötterei entstanden. Daher sind die Heiligen der römisch katholischen Kirche mit den Göttern und Göttinnen der Heiden, nach den ihnen geweihten Tempeln, und Altären, den ihnen gebrachten Opfern, dem vermeinten Einfluss auf die Menschen, und der Anbetung und Verehrung überhaupt, so nahe verwandt, dass zwischen ihnen, wie solches selbst vernünftige Katholiken nicht verkennen, eine Scheidewand fast unmerklich ist. So wie die Griechen und Römer Ober- und Untergötter und Göttinnen hatten, so hatte auch die katholische Kirche Heilige von beiden Geschlechtern sowie Heilige und Heiliginnen von höherem und niedrigerem Range. Je höher die Stufe war, worauf der Heilige im Himmel stand und je mehr er bei Gott vermochte, desto mehr wurde er verehrt und angerufen. Sobald man nun anfing, die Eigennamen von einem Heiligen zu entlehnen, so war es ganz natürlich, dass man sich vorzüglich die Namen der Heiligen auswählte, die den größten Wirkungskreis hatten. Diese Namen der Heiligen von dem ersten Range breiteten sich daher am weitesten aus. Die Heiligen der ersten Klasse sind unstreitig die, welche mit dem Stifter der Religion in der engsten Verbindung gestanden waren oder Heilige aus dem neuen Testament. Als der Vorläufer Jesu stand Johannes der Täufer in so hohem Ansehen, dass man ihn in der katholischen Litanei gewöhnlich oben anstellt. Der Liebling des Heilands, Johannes der Evangelist, führte denselben Namen. Es lässt sich daher leicht einsehen, warum der Name Johannes oder Johann sich so sehr ausgebreitet hat. Weil der Name Johannes (oder verkürzt Johann, Jann und Hans) so sehr allgemein geworden, verknüpfte man nachher damit verschiedene verächtliche Nebenbegriffe: Hans in allen Gassen, Hans ohne Sorgen, Dummer Jan, Groberian, dummer Hans, Großhans, Kleinhans, Prahlhans, Schmalhans, Hanswurst, Hansdampf. Der Westfale und Niedersachse hat seinen mallen (närrischen) Jann, Jann und alle Mann, der Franzose Jean, qui ne peut du Jean Potage und der Holländer Jann Gad (d. i. der deutsche Hans). Bei den Russen ist Iwan – Iwanowitsch sogar ein Schimpfname und bei den Engländern bezeichnet John, so wie bei den Schweden Jan und den Italienern Juan, einen dummen einfältigen Menschen.

Johannes folgen auf dem Fuße nach die Namen der großen Apostel: Petrus, auf den, als einen Felsen, Christus seine Kirche baute und Paulus, der mit Feuereifer das Christentum befestigte. Johannes, Petrus und Paulus sind also die vornehmsten Heiligen und daher ihre Namen die gangbarsten. Dann kommen die Namen der übrigen Apostel und Evangelisten: Jacob, Philip, Thomas, Andreas, Lucas, Mathäus, Mathias, Simon, Marcus und Bartholomäus. Letzterer kommt selten vor. Nicht, weil man an seiner Heiligkeit etwas auszusetzen hat, sondern weil der Deutsche die vielsilbigen Namen nicht liebt. Daher wird er bei seiner Existenz in Niedersachsen gewöhnlich durch Barthelt verkürzt. Noch seltener erscheint der Apostel Lebhäus mit dem Zunamen Thaddäus, vielleicht weil die Wahl zwischen dem Eigennamen und dem Zunamen schwierig war. Dagegen hat der Apostel Judas, Jacobi Sohn, nie das Glück genossen, dass ein Deutscher nach ihm benannt ist, weil der Verräter aus Ischariot denselben Namen hatte. Nicht also blindlings schuf man aus dem neuen Testament einen Taufnamen, sondern man traf dabei bald aus diesem bald aus einem anderen Grund eine besondere Auswahl. Doch kann man sicher die Hauptregel annehmen: Je mehr sich eine solche Person hervorgetan und je mehr er sich um das Christentum verdient gemacht hatte, desto allgemeiner wurde der Name als ein Eigenname angenommen. Aber warum wurde denn der Name Jesus, der doch auch ein wirklicher Eigenname war, nicht ein Taufname? Dieser Name war unstreitig zu heilig, daher enthielt man sich sogar des synonymischen Namens Jesaias. Indessen fand man kein Bedenken, den Beinamen Immanuel zu surrogieren. Joseph, der Pflegevater des Heilandes und Stephan, der erste Märtyrer, waren so ehrwürdige Personen, dass sie förmlich unter die Zahl der Heiligen gesetzt wurden. Der Lobgesang, welchen der alte Simeon über die Geburt des Heilandes anstimmte, und der Starke Glaube des Hauptmanns Cornelius machten diese Männer ehrwürdig. Daher haben wir die heutigen Taufnamen Joseph, Stephan, Simeon und Cornelius. Zebedäus war zwar Vater zweier Apostel und dagegen Zacharias nur der Vater eines Apostels, weil aber dieser durch ein Wunderwerk seinem Sohne einen Namen erteilt hat und dieser sein Sohn ein Vorläufer des Heilandes war, so musste Zebedäus dem Zacharias zurückstehen. Nicodemus war zwar ein treuer Anhänger des Heilan-des, war aber Nachtschleicher und durfte nicht rein mit der Sprache heraus. Dagegen war Nathanael ein ehrlicher Israelite, in dem kein Falsch war. Daher trifft man nirgends in Deutschland einen Nicodemus, wohl aber hin und wieder einen Nathanael an. Der von den Toten auferstandene Lazarus würde unstreitig ein Namensstifter geworden sein, ihm stand aber die Na-mensgleichheit mit dem Bettler Lazarus entgegen. Dessen Name passte nur für Krankenhäuser und Lazarette, nicht aber für Menschen. Titus, Timotheus und Philemon waren nicht selbst Briefsteller, sondern nur Briefempfänger. Daher sind auch ihre Namen sehr selten. Unter den heiligen Frauen aus dem neuen Testament hat Maria, die gesegnete unter den Weibern, den obersten Rang. Anna, ihre Mutter, obgleich die Evangelisten und Apostel sie nicht erwähnen, steht ihr zur rechten, und Elisabeth zur linken Seite. Daher sind denn beim weiblichen Geschlecht die Namen Maria, Anna und Elisabeth die gewöhnlichsten. Auch genießen die heiligen Weiber Martha und Magdalena wie auch die Purpurkrämerin Lidia und die Jüngerin Tabeia, wenn auch seltener, dieselbe Ehre.