Ein echt altdeutscher Eigenname

Von Tileman Dothias Wiarda, 1799 (bearbeitet von Knud Bielefeld)


Tileman Dothias Wiarda

§ 18. Ein echt altdeutscher Eigenname muss aus der alten germanischen Sprache und deren Mundarten erklärt werden.

Abgesehen von diesen Verdunkelungen und Schwierigkeiten lassen sich doch sehr viele germanische Namen erklären, wenn man nur die Regeln beobachtet, die bei der Auslegung eines germanischen Namens anwendbar sind. Diese mögen ungefähr folgende sein: Zuerst muss man untersuchen, ob der Name, den man entziffern will, auch wirklich germanischen Ursprungs sei. So würde man auf einen offenbaren Irrtum geraten, wenn man die von fremden Völkern entlehnten Namen wie Kasimir, Nepomuk oder Adrian und die ebenfalls fremden aber deutschverstellten Namen Joost und Jürgen aus der germanischen Sprache erklären wollte. Ist man aber von dem germanischen Ursprung des Namens überzeugt, so muss auch derselbe aus keiner anderen als aus der alten germanischen Sprache erklärt werden, denn der Germane gab seinem Kinde einen aus seiner Volkssprache entlehnten Namen. Die Natur der Sache leitet uns schon von selbst darauf hin, weil der Germane keine andere Sprache kannte als die Germanische. Seger hat daher eine unverzeihliche Sünde begangen, wenn er in seinem onomastico physico alle von ihm aufgestellten deutschen Taufnamen aus dem Hebräischen ableitet. Eben so verfehlen andere Etymologen den rechten Weg, wenn sie bei der Deutung eines echt germanischen Namens aus römischer oder griechischer Quelle schöpfen. Eben so wenig lassen sich die alten germanischen Namen aus der neueren deutschen Sprache erklären. Diesen Fehler haben sich fast alle zu Schulden kommen lassen, die sich mit der Etymologie der deutschen Namen abgegeben haben. So heißt bei ihnen Kerung – kehrum, das ist, wende dich um, Leudemund – Leute Mund, Geswold – Geswaltig, Rugilos – Ruglos, Arnheim – Ehrenheim, Lambert – lanf und werth, Eberhard – Oberrath usw. Ist also ein alter germanischer Name, er mag ausgestorben sein oder noch entweder in seiner völligen Kraft oder verstellt unter uns blühen, aus der alten germanischen Sprache genommen, so muss er auch aus der alten germanischen Sprache erklärt werden. Der richtigste Weg ist, dass man einen germanischen Eigennamen aus der germanischen Mundart des Stammes ableitet, bei welchem der Name entweder allein oder doch vorzüglich gangbar gewesen ist. So findet man zum Beispiel die Namen Ceolburg, Ceolmund, Ceolnad, Ceolred, Ceolric und Ceolwulf bloß bei den Angelsachsen vor. Daher muss dieser Name aus der angelsächsischen Sprache erläutert werden. Ceol ist angelsächsisch, und bezeichnet ein Schiff. Dieses auf der offenen See und an der Küste schwärmende Volk setzte auf ihre Schiffe einen vorzüglichen Wert. Daher entlehnten sie viele Eigennamen von den Schiffen. Ceolburg, Ceolmund, Ceolnad, Ceolred, Ceolric und Ceolwulf kann man also durch Schiffsbewahrer, Schiffsverteidiger, Schiffsgenosse, Schiffsrat, Schiffreich, Schiffshilfe übersetzen. Aber so lässt sich nicht immer, nur äußerst selten, verfahren. Wir wissen, dass alle germanischen Dialekte aus einer Quelle geflossen sind und ihre Wurzelwörter die nahe Verwandtschaft unter sich und den gemeinschaftlichen Stamm sichtbar machen. Aus diesem Grunde kann man bei Entzifferung eines germanischen Namens, wenn uns der eine Dialekt hilflos lässt, zu dem anderen seine Zuflucht nehmen. Die alten nördlich germanischen oder skandinavischen, die gotischen, angelsächsischen, altfriesischen, fränkisch deutschen und alemannischen Sprachen sind die Quellen, woraus der Etymologe schöpfen muss.