Von Tileman Dothias Wiarda, 1799 (bearbeitet von Knud Bielefeld)
§ 17. Schwierigkeiten bei Auslegung der Namen
Es ist also leicht zu erraten, dass der Etymologe mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, wenn er den Sinn und die Bedeutung eines einzelnen germanischen Eigennamens erforschen will. Ist der Name echt germanischen Ursprungs und trifft man ihn schon bei römischen und griechischen Schriftstellern vor, so wird die Kenntnis der alten germanischen Sprache vorausgesetzt. Hat der Name durch abweichende Dialekte eine Änderung erlitten, so muss man auch mit den Töchtern der germanischen Muttersprache bekannt sein. Haben ausländische Schriftsteller den Namen nach ihrer Sprache gebildet, so muss der Name von dem ausländischen Gewand entkleidet und wieder germanisch geformt werden. Ist der Name verstümmelt, so muss ihm seine rechte Gestalt wieder hergestellt werden. Vor allem bei einsilbigen Namen wird die Nachforschung schwer sein, ob der Name schon bei seinem Entstehen ein einfacher selbständiger Name oder ob er ursprünglich ein zusammengesetzter Name gewesen und nun verkürzt worden ist. Dies ist ein Knoten, den der Etymologe nicht immer lösen kann. Vermag er nicht den Zweifel mit Gewissheit zu heben, so kann er auch mit Zuverlässigkeit die Bedeutung nicht bestimmen. Ein einzelner ausgelassener Buchstabe kann schon viele Schwierigkeiten verursachen, wenn man diesen Buchstaben nicht aus Vergleichung mit anderen herstellen kann. So fällt es zum Beispiel zwar gleich auf, dass aus dem Namen Robert, da man auch Ruardbert, Radbert und Rodbert hat, der Buchstabe d ausgeworfen ist und dass in Harprecht das t in p verwandelt ist, weil man auch Hartbrecht liest. Demnach bezeichnet denn Robert einen berühmten Rath und Harprecht sehr berühmt. Was soll man aber aus Dagoald machen? Entweder fehlt ein b oder w. Man muss entweder Dagobald oder Dagowald lesen. Ersteres bezeichnet einen kühnen, tapferen Helden, letzteres einen Vorsteher der Miliz, einen Anführer, General. Ist man nun auch versichert, dass man diesen oder jenen Namen richtig geschrieben vor sich hat, so stehen nicht selten die verschiedenen Bedeutungen der Bestandteile des Namens dem Ausleger selbst im Wege. So kann Otto den glücklichen und auch den begüterten, den reichen bedeuten; Berta, die geschmückte, die schöne und auch die berühmte; Wina, die Siegerin und auch die geliebte; Trutman den treuen, und auch den lieben Mann; Elmer sehr berühmt und den großen Fürsten; Witbert weit berühmt, und das kluge Kind; German, Kerman den fertigen rüstigen Mann, und auch den ganzen, den großen Mann usw.
Ganz natürlich muss eine solche verschiedene Bedeutung, wenn sie sonst einem germanischen Namen angemessen ist, eine verschiedene oder doch zweifelhafte Auslegung wirken. Schließlich kann man nicht einmal immer das Wurzelwort selbst mit Gewissheit angeben, welches den Namen beherrscht. So kann unser heutiger Ulrich ein verkürzter Name von Huldric und Hilberic sein und heißt dann sehr getreu. Weil man aber das d nicht in Ulrich antrifft, so scheint dieser Name mehr mit Folric und Vularic gleichbedeutend zu sein. Demnach müsste denn Ulrich sehr vollkommen bedeuten. Noch mehr mit Ulrich kommen Alric und Alaric (sehr reich) überein. Diese Übereinstimmung scheint um so viel weniger schwierig zu sein, weil die Selbstlauter durch alle Mundarten wandelbar sind und man selbst in den germanischen Namen das al mit ol verwechselt findet. So trifft man Algert, und Olbert, Allo und Ollo an. Folglich scheinen Alric, Olric und Oelric synonymisch zu sein. Wenn man aber wieder auf die Namen Athalric, Odalric, Uadalric, und Udalric (reich an Gütern) stößt, so wird man zwischen Ulric und Udalric wanken, ob man unseren Ulrich von diesem oder jenem Namen ableiten will. Mit so vielen Schwierigkeiten ist die Auslegung der alten deutschen Namen verbunden.