Von Tileman Dothias Wiarda, 1799 (bearbeitet von Knud Bielefeld)
§ 11. Hoher Wert eines guten Namens
Wenn also kein germanischer Name sinnlos und daher jeder germanische Name einer Auslegung fähig ist, auch wenn wir nicht immer gleich den Sinn und die Bedeutung erraten oder treffen können: Welchen Begriff verknüpfte denn der erste Erfinder eines germanischen Namens mit dem Namen, den er dem Kinde beilegte? Man hielt von jeher viel auf einen guten Namen, weil man glaubte, dass in dem Namen eine gewisse Kraft verborgen läge, die auf das künftige Schicksal des Menschen Einfluss hätte. Wurde also ein Name für eine Vorbedeutung des künftigen Schicksals gehalten, so musste ein guter Name von einem besonderen Wert sein. Man setzte sogar auf solche, die einen guten Namen hatten, ein vorzügliches Zutrauen.
Stimmen nachher Charakter, Handlungen oder Schicksale eines Menschen mit der Bedeutung überein, so hat der Deutsche eine Redensart. Er sagt: „Der Mann führt den Namen mit der Tat.“ Da also ein guter Name allenthalben so sehr geschätzt wurde, und selbst einen ehr- und ruhmvollen Mann bezeichnete, so ist leicht einzusehen, warum fast in allen Sprachen ein guter Name selbst für Ruhm, Ehre und Ansehen genommen wird. So schreibt im Hebräischen Jeremia: „Ich habe das ganze Haus Israel und Juda um mich gegürtet, dass sie mein Volk sein sollten zu einem Namen, Lob und Ehre“ und Jesaia: „Einen ewigen Namen will ich ihnen geben, der nicht vergehen soll“. Griechisch schreibt Paulus: „Darum hat ihn auch Gott erhöhet, und hat ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist.“ Beim römischen Dichter Vergil finden wir vor: „So gehen denn Ehre, Ruhm und ein guter Name miteinander zu gleichen Schritten.“
Auch der Deutsche nimmt einen guten Namen für Ehre, Achtung und Ruhm. Bekannt sind die Redensarten: „Er hat einen guten Namen nachgelassen“, d. h. er war in seinem Leben ein rechtschaffender, untadeliger Mann. „Er ist um seinen guten Namen gekommen“, d. h. er hat seine Achtung verloren. „Er sucht seinen guten Namen zu retten“, d. h. seine Ehre zu retten. Wurde also sein Eigenname für eine Vorbedeutung des künftigen Schicksals eines Kindes gehalten, oder sollte ein Eigenname den Wünschen der Eltern in Absicht des künftigen Schicksals des Kindes entsprechen; standen solche auf hervorleuchtende Eigenschaften, auf Tugenden und Fähigkeiten Bezug habende Namen im großen Werte, und wurde sogar ein guter Name für Ehre, Ruhm und Ansehen selbst genommen: So können wir aus der natürlichen Zuneigung der Eltern zu ihren Kindern mit Gewissheit behaupten, dass bei keinem Volke gehässige oder heillose Eigennamen je vorhanden gewesen sind. Aber hatten denn nicht die Römer ihre Calvi, Claudii, Bibuli, Furii, Hoftilii, Pertinaces usw.? Dieser Einwurf ist von keinem Belange. Wir spüren schon bei dem ersten Anblick die Unwahrscheinlichkeit, dass ein Vater seinen neugeborenen Sohn, der noch keine Haare hatte, Calvus, der noch keine Fuß setzen konnte, Claudius, der die Brust der Mutter sog, Bibulus usw. benennet haben sollte. Es waren diese Namen keine Eigennamen, sondern ursprüngliche Beinamen, die nachher erst in angenommene und dann in Geschlechtsnamen übergegangen waren. Beinamen und Eigennamen sind, wie ich im zweiten Abschnitt weiter ausführen werde, aus ganz verschiedenen Quellen entsprossen. Daher sind jene von diesen sorgfältig zu unterscheiden. Hier aber ist bloß die Rede von Eigennamen oder Vornamen.