Vorrede von Tileman Dothias Wiarda

Von Tileman Dothias Wiarda, 1799 (bearbeitet von Knud Bielefeld)


Tileman Dothias Wiarda

Wir alle, von dem Kinde an bis zu dem Greise, von dem Tagelöhner bis zu dem Fürsten, wir alle, Männer und Weiber, führen Eigennamen oder Vornamen. Unsere Vorfahren, schon von den Stammeltern des menschlichen Geschlechts an, hatten Eigennamen, und unsere späteren Nachkommen werden nie ohne Eigennamen sein. Auch treffen wir in diesem Zeitalter unter allen Klassen der Menschen Geschlechtsnamen an. Nichts ist also gemeiner als ein Vorname und Geschlechtsname. Und doch haben wir noch keine, wenigstens keine befriedigende, Abhandlung über unsere deutsche Vornamen und Geschlechtsnamen! Der Grund mag wohl eben darin liegen, weil ein Name so sehr gemein ist. Denn das Gemeine, das Alltägliche, das Gewöhnliche wird uns gleichgültig. Wir achten auch nicht darauf, weil wir es schon durch die beständige Ansicht zu kennen glauben. Dagegen ist das Neue, das Seltene uns immer auffallend. Zu Befriedigung unserer Neugierde betrachten wir es von allen Seiten, und wünschen, es näher kennen zu lernen. Selbst nach dem Grade der Seltenheit pflegen wir den Wert einer Sache zu steigern.

Da aber die Gleichgültigkeit, womit man bei einer täglichen und gewohnten Sache vorüber geht, ihr nicht das mindeste von ihrem inneren Wert entziehen kann: So bleibt sie, vorausgesetzt, dass sie an sich nicht wertlos ist, wohl um so viel mehr ein würdiger Gegenstand unserer Beobachtung, wenn sie uns alle angeht und wir bei ihr ein gemeinschaftliches Interesse haben. So gemein denn auch unsere Vor- und Geschlechtsnamen sind, so haben sie doch an sich einen großen Wert, und können daher auf unsere Aufmerksamkeit einen gerechten Anspruch machen. Unter unseren Vornamen oder Taufnamen sind die, welche deutschen Ursprungs sind, das älteste Denkmal des Altertums. Viele unserer heutigen Vornamen sind Eigennamen, welche unsere Vorfahren, die Germanen, ehe sie Germanen hießen, und Deutsche, wie der deutsche Name noch nicht aufgekommen war, vor zweitausend und mehreren Jahren führten. Wir haben jetzt andere Religionsbegriffe und einen anderen Gottesdienst. Die Staats-, Gerichts-, Polizei- und Kriegsverfassungen sind durchaus verändert. In unserer bürgerlichen Beschaffenheit und häuslichen Einrichtung weichen wir völlig von der Bahn unserer Vorfahren ab. Nichts von allen diesen germanischen Altertümern, als etwa einige wenige Bruchstücke von Herkommen und Observanzen, schwache und fast völlig verwischte Züge des altdeutschen Charakters, und Wurzelwörter der, von ihrer Urform so sehr abgewichenen, Sprache sind uns erblich verblieben. Bloß die Eigennamen unserer ältesten Vorfahren haben am längsten der Zeit getrotzt und blühen noch unter uns unverweslich. Nicht bloß wegen dieses ihren hohen Alters, sondern auch darum müssen wir den deutschen Vornamen unsere Aufmerksamkeit weihen, weil in ihnen ein richtiger Abdruck des Charakters unserer Vorfahren liegt; und dann auch, weil sie uns die reinen ältesten Bestandteile der germanischen Sprache aufgehoben haben, die wir Jahrhunderte später, wie sie schon viele Änderungen erlitten hat, erst aus der, in jüngeren Zeiten erfundenen, Schriftsprache haben kennen lernen.

Auch die, wiewohl erst spät auf deutschen Boden verpflanzten fremden Vornamen, bleiben uns immer merkwürdig. Viele, ja fast die meisten, übersteigen noch das greise Alter der echt germanischen Eigennamen. Leben nicht noch selbst die Namen der Stammeltern des menschlichen Geschlechts Adam und Eva unter uns? Weiter bedürfen wir wohl keines Zeugnisses. Diese vor und nach eingeschlichenen ausländischen Vornamen machen uns auch auf den Kampf zwischen Patriotismus und Aberglauben aufmerksam, und zeigen uns die Denkungsart unserer Vorfahren des Mittelalters in der sorgfältigen Auswahl solcher Namen.

Zwar können unsere Geschlechts- oder Stammnamen sich keines so hohen Alters rühmen; doch haben sie für uns einen besonderen Wert, das sie uns auf unsere Abkunft hinweisen, unser Geschlecht von anderen Geschlechtern unterscheiden, und ein elterliches und vorelterliches Erbgut sind, welches wir wieder auf unsere späteren Nachkommen verpflanzen lassen. Sind alle unsere Stammgüter verloren, haben wir nichts von unseren Vorfahren aufzuweisen, so bleibt uns doch unser Geschlechtsname übrig, den uns keine Feuersbrünste, Kriege und Wasserfluten rauben können.

Unsere Namen, beide Vornamen und Geschlechtsnamen, machen uns bei den Zeitgenossen und der Nachwelt kenntlich. Sie wallen nicht nur mit uns unser Leben hindurch, sondern überleben uns nach unserem Tode, bald kürzer, bald länger, ja oft Jahrhunderte, Jahrtausende. Bloß durch unseren Namen können wir unser Andenken erhalten. Erlöscht unser Name, so verschwindet auch unser Andenken. Kein Wunder daher, wenn der Mensch sich bestrebt, seinen Namen zu erhalten, oder ihn auf die Nachkommenschaft zu bringen. Diese Triebfeder liegt in den Handlungen des Staatsmannes, des Kriegers, des Gelehrten, des Künstlers und selbst des gemeinen Mannes gewöhnlich verborgen. Aber nicht bloß verborgen, oft leuchtet sie offenbar aus den Tatsachen hervor. Alexander erbaute Alexandrien. Der Kaiser Justinian verordnete, dass das Gesetzbuch seinen Namen führen sollte, um seinen Namen zu verewigen. Und Herostratus warf gar die Brandfackel in den Tempel der Diana bloß in der Absicht, um seinen Namen unsterblich zu machen. Ist man nicht in der Lage, seinen Namen durch große und hervorleuchtende Taten auf die Nachkommenschaft zu bringen, so bedient man sich geringerer Mittel. Man erbaut Häuser und gibt ihnen Namen und Wappen vor, man tauft Landgüter nach seinem Namen um, lässt sich in Kupfer stechen, adoptiert Kinder, stiftet Familie, Fideikommisse usw. Wenn wir also gleich bei unseren Namen, als einer gewöhnlichen und täglichen Erscheinung, uns selten etwas denken, so fühlen wir doch ihren Wert, indem wir so sorgfältig auf ihre Erhaltung bedacht sind. Unsere Namen verdienen also wohl eine besondere Nachforschung. Ich wage es daher, meine Gedanken über den Ursprung, den Fortgang, die Bedeutung und rechtlichen Wirkungen der deutschen Vornamen und Geschlechtsnamen hier offen zu legen. Keineswegs gebe ich diese Bemerkungen für eine vollständige Abhandlung aus. Sie sollen nur ein Versuch sein, dieses noch so sehr unbebaut liegende Feld einigermaßen urbar zu machen.

Möchte denn dieser Versuch bald eine ausführliche Abhandlung mit Ausfüllung der hier gelassenen Lücken und Berichtigung meiner Fehler veranlassen!

Aurich, 1799
Tilman Dothias Wiarda