Von Ernö und Renate Zeltner
In der Geschichte des heiligen Sebastian, der gegen Ende des 3. nachchristlichen Jahrhunderts den Märtyrertod starb, sind Wahrheit und Legende eng verwoben. Der junge Mann soll zur Zeit Diokletians ein schneidiger Kommandeur der kaiserlichen Leibgarde gewesen sein und sich deshalb der besonderen Gunst des Kaisers erfreut haben. In seiner Position hatte er auch Zugang zu den Gefängnissen, in denen viele Christen schmachteten. So konnte er manche mit seinem Zuspruch im Glauben stärken und ihren Angehörigen behilflich sein. Doch eines Tages erfuhr der Kaiser, dass Sebastian sich zum Christentum bekannte. Wütend übergab er ihn seinen Bogenschützen, die ihn mit zahllosen Pfeilen durchbohrten. Sebastian aber hatte noch Leben in sich und konnte dank guter Pflege durch eine fromme Witwe wieder genesen. Der Kaiser war entsetzt, als er den Totgeglaubten plötzlich vor sich sah und dieser sich auch noch erdreistete, ihn bekehren zu wollen. Diesmal leisteten die Knechte ganze Arbeit und schlugen Sebastian wirklich tot. Die Maler aller Zeiten haben ihn mit besonderer Vorliebe und nicht ohne Wollust dargestellt, indem sie seinen nackten Körper zeigten, dessen Schönheit die tief ins Fleisch gebohrten Pfeile nicht beeinträchtigen konnten. Einschlägige Handwerker erkoren ihn sinnigerweise zu ihrem Schutzpatron, unter ihnen die Schützen und Armbrustschützen, die Büchsenmacher und Soldaten, die Zinngießer und Raketenmacher. Aber auch weniger kriegerische Berufsgruppen wie Gerber, Gärtner, Leichenträger und Tuchmacher versichern sich gern seiner schützenden Fürsprache. Er wird gegen Pest, Viehseuchen und Ketzerei um Hilfe angerufen. Sein Fest ist der 20. Januar.
Gewiss kann es der Wasserdoktor Sebastian Kneipp (1821-1897) mit seinem heiligen Namenspatron an Beliebtheit aufnehmen, hat er doch nachweisbar Unzähligen zur Linderung ihrer Leiden und zu mehr Gesundheit verholfen. Kneipp war kein Arzt, sondern Pfarrer; und auch das wurde ihm nicht an der Wiege gesungen, denn er musste sich seinen Lebensunterhalt mühselig als Hirte, Tagelöhner und Weber verdienen, bevor er seine theologischen Studien abschließen und die geistliche Laufbahn einschlagen konnte. Armut und Entbehrungen hatten seinen Körper ausgezehrt und ihm ein tückisches Lungenleiden beschert, gegen das damals keine Arznei mehr helfen konnte. Da fiel ihm ein Bändchen über die Heilkraft des Wassers in die Hände, das ihm fortan zu einer zweiten Bibel wurde. Die ersten Kaltwasseranwendungen nach Dr. J. S. Hahn machte Kneipp in der eiskalten Donau bei Dillingen, da er sich ein Billett der städtischen Badeanstalt nicht leisten konnte. Wie durch ein Wunder bekam er die tückische Krankheit mit dieser monatelangen Rosskur in den Griff. Das Wasser kurierte ihn, und es half dank seiner Hilfe auch anderen, bei denen die ärztliche Kunst versagt hatte.
Doch seine geistlichen Vorgesetzten bekamen Wind von der Sache und ihm wurde das »Kurieren« verboten. Zunächst hielt er sich an die kirchliche Weisung, doch bald ging der Wunsch, Kranken mit seiner Wasserkur zu helfen, immer öfter mit ihm durch.
Als Beichtvater eines Klosters in Wörishofen war er dann schon fast am Ziel. Gegen viele Missgünstige und Neider hat er schließlich durchgesetzt, dass er nicht nur für die Seelen der Gläubigen, sondern auch für ihre Leiber zuständig wurde. Zögernd und erst im fortgeschrittenen Alter verfasste er das Buch >Meine Wasserkur<; schließlich wollte er den Zorn seiner vorgesetzten Behörde nicht mutwillig herausfordern. Im Vorwort der ersten Auflage von 1886 heißt es:
Nur das anhaltende und ungestüme Drängen meiner Freunde, die es eine Sünde gegen die Nächstenliebe nennen, wenn meine Erfahrungen mit meinem modernden Körper in die Grube fahren, zahllose Bittschreiben von Geheilten, insbesondere aber das Flehen armer, verlassener Kranken auf dem Lande drücken mir den Schreibgriffel in die widerstrebende, bereits zitternde Hand.
Der ärmeren Klassen, der vielfach verwahrlosten und vergessenen Kranken auf dem einsamen Lande habe ich mich jederzeit mit besonderer Aufmerksamkeit und Liebe angenommen. Diesen vor allen andern soll mein Büchlein gewidmet sein. Die Sprache ist dem Zwecke angemessen, einfach, klar.
Kneipp konnte damals kaum ahnen, welche Wellen eben diese Wasserkur einmal schlagen würde. Aus seiner Patientengemeinde ist eine gewaltige Bewegung von Kneipp-Anhängern geworden, seine Heilweise die Grundlage vieler der Gesundheit ebenso wie der wirtschaftlichen Prosperität verpflichteter Unternehmen der Heilbranche.
Pfarrer Sebastian Kneipp aber ist der Erfolg seiner ganzheitlich orientierten Naturheil weise nie zu Kopf gestiegen. Er blieb auch in den Jahren seiner größten Erfolge bescheiden, gütig und genauso geradeheraus und gelegentlich grob, wie es seiner Natur entsprach. Viele seiner oft recht derben Aussprüche sind uns als Anekdoten überliefert. Daß er auch vor »Respektspersonen« nie einknickte, hat seine Popularität beim einfachen Volk noch erhöht.
Als einmal in seiner Wörishofener Praxis eine Patientin von offensichtlich besserem Stand meinte, erwähnen zu müssen, dass sie Hofdame einer Hoheit sei, brummte Kneipp bissig: »Hofdame sind Sie, also a besserer Dienstbot. Da zahlen’s bei mir nix, denn Dienstboten behandel‘ ich umsonst.«