Charakteristik unserer deutschen Vorfahren

Von Tileman Dothias Wiarda, 1799 (bearbeitet von Knud Bielefeld)


Tileman Dothias Wiarda

§ 25. Charakteristik unserer deutschen Vorfahren aus ihren Eigennamen

Durch ein solches Namens-Verzeichnis wird denn freilich die Erklärung altdeutscher Namen sehr erleichtert werden, nie aber werden wir alle Schwierigkeiten heben können. Die gar zu starken Verstümmelungen, die so sehr abweichenden Mundarten, die veralteten Kräfte, noch mehr, die vielfachen Bedeutungen der Wörter und die, nach dem Tone, so nahe aneinander grenzenden Bestandteile werden noch immer die Namen so verdunkeln, dass sie sich auch bei der strengsten Nachforschung nicht entschleiern lassen. In Absicht einzelner Namen wird also unser Wissen sehr oft Stückwert bleiben. Einige werden wir erklären können, andere werden eine zweifache Auslegung leiden und noch bei anderen werden wir gar unserer Vernunft gefangen geben müssen. In der Tat wird so wenig die gelehrte Republik, als die einzelne Person, welche einen solchen Namen führt, etwas dabei gewinnen, ob Helmer, Helm er (hoch berühmt) oder Helm – er (der Beschützer) gelesen werden muss, ob Folmar (sehr berühmt) oder Folcmar (Volksvorsteher) verschiedene oder dieselben Namen sind, ob Aelfled das fled gänzend, ob Recefuind das Rec einen Helden oder noch etwas anders bedeutet. Indessen können wir, und dies ist die Hauptsache, mit Gewissheit nunmehr sagen: der Germane legte seinen Kindern solche Namen bei, die Bezug auf ihren künftigen Wohlstand haben sollten. Man überschaue nur die Bestandteile der germanischen Namen in ihren einfachen und mehrfachen Bedeutungen, so wird man sich völlig davon überzeugen. Alles, was der Germane schätzte und worauf er einen Wert setzte, fassen die Bestandteile der germanischen Eigennamen zusammen. So wie der Germane dachte, wie er handelte, wollte er auch, dass seine Kinder denken und handeln sollten. Was er beherzigte, das sollten auch seine Kinder beherzigen. Was er für das größte Glück hielt, das sollte, nach seinem Wunsch, das künftige Los seiner Kinder werden. Darum gab er seinen Kindern solche seiner Deutungsart entsprechenden Namen. Glaubt man doch schon, aus den Grundzügen der Sprache erraten zu können, ob ein Volk mehr oder weniger ernsthaft, züchtig, unschuldig, gesittet oder üppig und mit allen Verfeinerungen der Laster bekannt, roh und verwildert sei: wie viel mehr werden wir unsere Vorfahren nach den Bestandteilen ihrer Eigennamen charakterisieren können? Eben diese germanischen Eigennamen bleiben denn immerwährende Denkmäler des festen, biederen und edlen Charakters der alten Germanen. Sie besiegeln die Zeugnisse gleichzeitiger auswärtiger Schriftsteller, die von der Vaterlandsliebe, dem Geist der Freiheit, von der Stärke, der Tapferkeit, der Treue, der Gutherzigkeit, Großmut und Keuschheit der Germanen, die sie doch Barbaren nannten, teils allgemeine, teils einzelne Züge entworfen haben und stellen uns den Charakter unserer Vorfahren lebhaft vor Augen. Danach war der Germane ein echter Patriot. Ihm lag sein Land und Vaterland (Land), so weit sich dessen Grenzen (rein, reg, Mare) erstrecken, sein Volk (Folk, Teut, Liud, Leod), besonders seine Verwandtschaft und Geschlecht (Kun), sein eigenes Haus (os) und seine Bundesgenossen (ans, hans, not) am Herzen. Den Staat zu schirmen und Unterdrückte zu schützen, war seine erste Pflicht (mund, berg, war, wird, frid, ulf, helm, hud), frei in seinem Lande (frid, fread) duldete er kein ausländisches Joch. Mit seinem starken Arm (ram) verteidigte er gegen den Feind sein Vaterland. In der Heerfolge als Krieger und Soldat (wic) zu stehen, war ihm ein ehrenvoller Posten. Im Kriege Heldentaten zu verrichten (held, rek), mannhaft das Schwert zu führen (Deg), den Feind zu besiegen (win) und als Sieger (Sig) zurückzukommen war sein Stolz. In Gefahren war er unverzagt und mutig (mut), im Streite mannhaft (man), unternehmend (thor), tapfer und kühn (bold, ken). Hier zeigte er seine Stärke und Kräfte (fuid, starck, Carl), seine Standhaftigkeit (hard) seine rasche Schritte (fuind, rad). In allen seinen Handlungen war er nie schwankend, immer fest (fast, stan) und stets getreu, wurde er nie wortlos (hild, hold, drud). Nicht starrsinnig folgte er gerne einem vernünftigen Rat (rat), ehrte vaterländische Gesetze (Ee, eh) und horchte auf Weisheit und Klugheit (wit). Er bestrebte sich untadelhaft zu wandeln (rein, amal), sich gütig gegen jedermann zu zeigen (god) und sich bei seinem Volk eine allgemeine Liebe zu erwerben (trud, lib). Er schätzte die Jugend, die künftige Stütze des Staates (ing), und jedes edle Frauenzimmer (gund). Er hielt auf Glück und Wohlstand (od, ed) auf viele Güter (odal) auf Reichtum und Ansehen (ric) schätzte den Adel (adel, ethel) und strebte nach den höchsten Würden (wald, mar, gast, drott, tod, bod, rad). Überhaupt war Ehre und Ruhm (er, ar) das Ziel, wonach er strebte. Je mehr er bedeutete, je höher er stand (hel, al, ol, vil, foll, gar), je mehr er hervorleuchtete (brand, brecht, brind) und je weiter sein Name erschallte (mar, lud, vit), desto größer, desto geehrter, desto glücklicher dünkte er sich. So lebte, so dachte, so handelte der Germane. So wollte er auch, dass seine Kinder leben, denken, handeln sollten.